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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
Autoren: Antje Rávic Strubel
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Preußen und Märker
    Märkische Heide, märkischer Sand
Sind des Märkers Freude, sind sein Heimatland.
Steige hoch, du roter Adler, hoch über Sumpf und Sand,
Hoch über dunkle Kiefernwälder, Heil dir mein Brandenburger Land.
    (Lied vom Roten Adler, 1923, Gustav Büchsenschütz)
    Machen Sie sich keine Illusionen: Ich bin kein Fan von Brandenburg. – Ich wurde hier geboren. Ich lebe hier. Das ist alles. Von meiner Geburt bis zu meinem sechzehnten Geburtstag hatte ich vom Land Brandenburg noch nicht einmal gehört, obwohl ich in der Automobilwerkerstadt Ludwigsfelde am Rand des Fläming groß wurde.
    Nach der Wende ging ich weg. Und als ich zurückkehrte, stellte ich fest, dass der Landstrich, in dem ich aufgewachsen war, mittlerweile einen Namen bekommen hatte. Dieses Land, das sich zwischen Elbe und Oder, vom Stechlin bis zur Senftenberger Seenplatte erstreckt, das mehr Sand als Menschen hat und mehr Seen als Städte, in dem man Radio »nur für Erwachsene« hört, Weißwein aus dem Tagebau trinkt, im Scherri badet und saure Gurken aus der Dose isst, das Land, in dem es Pyramiden, verbotene Städte und Atombunker gibt, dieses Land mit den meisten Naturschutzgebieten und den meisten militärischen Altlasten aller deutschen Bundesländer, was manchmal dasselbe ist, hieß jetzt Brandenburg.
    Ich erinnere mich nicht, wann ich den Namen zum ersten Mal hörte. Vielleicht benutzte der ehemalige Ministerpräsident Manfred Stolpe diese Bezeichnung, als er versuchte, Schwung in die Sache mit den blühenden Landschaften zu bringen. Oder die »Mutter Courage des Ostens«, Regine Hildebrandt, ließ den roten Adler in einer ihrer protestantisch-preußischen Motivationsansprachen aufsteigen. Vielleicht hörte ich den Namen zum ersten Mal in einer Radiosendung des rbb, in der Menschen auf der Straße gefragt wurden, was sie mit dem Land Brandenburg verbinden würden. Die Antworten waren wenig befriedigend. Während die Einheimischen anderer Landstriche bei solchen Fragen fröhlich zu regionalen Glaubensbekenntnissen ansetzen oder ernst die Vorzüge und Nachteile ihrer Heimat abwägen, blieben die Befragten ganz bei sich: »Brannenborch? Na, det iss, wo ich lebe!« Sehen Sie, das meinte ich.
    Ich bin gebürtige Potsdamerin. Das habe ich meiner Mutter zu verdanken. Sie fand, das Krankenhaus einer Bezirkshauptstadt mache für die Geburt eines Kindes mehr her als ein lumpiges Kreiskrankenhaus, in dem sie mich korrekterweise hätte zur Welt bringen sollen. So lautete jedenfalls in den Siebzigerjahren die Anordnung für Mütter, die im Kreis Zossen ihren Wohnsitz hatten. Aber meine Mutter kommt aus Sachsen. Das erklärt den laschen Umgang mit Behörden. Einer pflichtbewussten Preußin wäre es nie in den Sinn gekommen, das staatlich verordnete Krankenhaus durch ein selbst gewähltes zu ersetzen. Meine Mutter sah in der querulanten Entscheidung für Potsdam ein letztes Glimmen ihrer sächsischen Herkunft. An diesem Glimmen hielt sie fest, nachdem sie mit einem Niederlausitzer eine Mischehe eingegangen war und sich fleißig das Hochdeutsche antrainierte. Das Brandenburgische zu beherrschen, versuchte sie erst gar nicht. Diesen knackigen, bodenständigen Slang, der sachlich trocken hingerotzt wird und dann zerstäubt wie ein Spuckefleck im Sand, der sich durch das Weglassen ganzer Konsonantengruppen am Ende eines Wortes auszeichnet, bevorzugt das »ch« wie in »weeßickni« und »Lass do’ ma«, beherrsche nicht einmal ich. Ich habe zwar mit den Kindern waschechter Einheimischer im Sandkasten gespielt. Aber zu Hause wurde aus Rücksicht auf meine Mutter Hochdeutsch gesprochen.
    Bis zu meinem sechzehnten Geburtstag lebte ich also im Kreis Zossen, Bezirk Potsdam. Vom Land Brandenburg keine Spur. Sie sehen, wie jung das Land ist, in das ich Sie einweihen möchte. Heute erinnert schon nichts mehr daran, dass es erst 1990 auf dem Territorium von drei Bezirken entstand. Potsdam grenzte im Süden an den Bezirk Cottbus und im Osten an Frankfurt/Oder. Cottbus, Frankfurt und Potsdam sind die drei wichtigsten und größten Städte, die das heutige Bundesland vorweisen kann. In meinen jugendlichen Ohren hatten sie den gleichen fahlgrauen, fern-industriellen Klang wie Eisenhüttenstadt, Schwedt, Perleberg oder Guben, weshalb es mich schon damals nicht gewundert hätte, wären sie alle unter einen Hut gesteckt worden. Aber noch zeichnete sich nirgendwo ab, dass der Geburtsort Potsdam mich eines Tages zu einer Brandenburgerin machen würde. Die
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