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Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot
Autoren: Elisabeth Rapp
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12., Container 6
    Ich kämpfe mit dem Pistolenschwert gegen einen Verfolger. Wer er ist, weiß ich nicht. Verstecke mich. Ich bin in Gefahr und habe Angst am Ende der Welt.
    Schweißnass aufgewacht.
    Gestern haben wir den fünften Tag auf engstem Küchenund Kantinenraum die verschiedenen Bauphasen besprochen, geplant und Materiallisten erstellt. Jetzt treibt mich der Lagerkoller noch vor der blauen Morgenstunde fast bis hinter den Eisernen Vorhang. Und fast auch nur deshalb, weil ich nicht übers Wasser laufen kann. Heißt das eigentlich immer noch Eiserner Vorhang und Ostblock? Ich laufe, laufe, laufe schnell. Ist mir egal, ob ich pünktlich zum Frühstück zurück bin. Die können mich mal. Mit der Entfernung verblasst die Erinnerung ans Containerleben. Es riecht nach Harz und Herbst. Der Wind zischt durch die Nadeln und Birkenblätter. Dann knackt es laut zwischen den Bäumen. Es ist noch zu dunkel, um etwas zu sehen. Ein Tier vielleicht? Oder doch ein Mensch? Plötzlich kriege ich Angst und renne den Weg zurück. Eine schreckliche Weile klingt es, als würde etwas auf gleicher Höhe mit mir durch den Wald rennen. Ich werde schneller und lasse das Knacken und die brechenden Äste hinter mir. Vorm Camp ist es dann hell genug, dass ich querfeldein zum Fluss laufen kann. Wasser aus purem Silber.Der Fluss rauscht, mein Blut rauscht, das Weltall rauscht. Ich laufe dem Nordpol entgegen.
    Auf der Mitte des Flusses gerät auf einmal der Dunst in Bewegung. Flügelschlagen und lautes Triumphgeschrei ertönt: »Gigigi! Ga! Go!« Dann: »Gra! Kükükü!«
    Schwäne steigen auf. Singschwäne erheben sich in die Luft, zwanzig, dreißig Stück. Silber tropft von ihren Flügeln. In der Luft werden sie blau. Sie fliegen einen Bogen und ich falle auf die Knie. Das Morgensonnenlicht, das ich noch gar nicht sehen kann, taucht sie hoch über mir in rote Farbe. Meine roten Schwäne ziehen in den Süden mit Gesang. Ich bin ein Kind des Lichts, lege mich auf den Rücken und sehe ihnen nach. Etwas in mir fliegt mit. Mein Wunsch nach Wärme fliegt mit. Meine Sehnsucht nach Licht fliegt ihnen nach. Sie gehören zu mir und ich fühle mich wie ein Teil von allem. Bloß festgebunden, eingesperrt. Ich hasse es so sehr, wenn ich flennen muss und nichts dagegen machen kann.
    »Was soll das, Tilly? Wenn du nicht damit umgehen kannst, dass man dir was erlaubt, dann geht das eben nicht!« Beck brüllt.
    Tonberg hält sich zurück.
    Ich stehe da, atme schwer und dampfe. Schweiß läuft mir von der Stirn. Meine Muskeln schmerzen. Am Fluss sind mir die Beine in der Kälte steif geworden.
    »Tut mir leid, ich bin zu weit gelaufen. Ich hab’s übertrieben. Entschuldigung«, keuche ich. Eingeständnisse sind immer entwaffnend. »Habt ihr schon gefrühstückt?«
    »Ab in die Kantine mit dir. Kuck, ob du noch was Essbares findest. Die anderen vermessen schon das Gelände.«
    Hab sie johlen hören, als ich an ihnen vorbeigerannt bin.
    Riski fragt: »Seit wann läufst du?«
    »Weiß nicht. Seit sechs?«
    Er will nicht wissen, zu welcher Stunde, sondern in welchem Alter ich damit angefangen habe.
    »Schon immer.«
    Sandra kommt um den Kantinencontainer gerannt. »Kann ich morgen mal mitlaufen?«
    »Mitlaufen? Weiß nicht. Wie schnell bist du?«
    Sandra zögert: »Ich war noch nie joggen.«
    »Dann musst du erst mal üben, Kondition kriegen und dein Tempo finden«, sage ich.
    »Warum bringst du es ihr nicht bei?«, fragt Beck.
    »Weil ich das nicht kann«, sag ich und gehe frühstücken. Mach’s doch selber, Pädagoge, denke ich. So ein Schwachsinn. Klar hätte er es am liebsten gesehen, wenn ich nicht mehr allein laufen würde. Aber darum geht’s ja gerade! Sonst könnte ich mit Vanessa, Jana und Sandra eine Bauch-Beine-Po-Gymnastik-Gruppe aufmachen.
    Allein bei der Vorstellung wird mir kotzübel.
    Und nicht nur mir, wie sich am Abend herausstellt.
    BOING! SCHEPPER! KLIRR! SCHLUCHZ!
    Entweder Vanessa oder Jana wirft sich aufs Bett und schnieft ins Kissen.
    Zwischen Absperrlaken und meinem Spind taucht Sandras Kopf auf. Sollen wir trösten, irgendwas machen? , fragen mich ihre Augen. Ich schüttle den Kopf und sie zieht sich lautlos in ihre Koje zurück.
    Wieder knallt die Containertür ins Schloss, und dementschlossenen Stiefelquietschen auf Industriestahlboden nach zu urteilen, gibt’s gleich Stress.
    »Du hast Nils angemacht, Bitch!« (Jana?)
    »Nein, du lässt die Pfoten von ihm! Schlampe!« (Vanessa?)
    Die Stimmen sind einfach nur schrill. Keine
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