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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek
Autoren: Arnold Zweig
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Erstes Kapitel
Ein gebrechliches Fahrzeug
I
    Geschehnisse, wie sie hier abrollen werden, um in einem viermal geschwungenen Beil, einem Revolverschuß und dem Zuziehen einer eingeseiften Schlinge zeitgemäß zu gipfeln, beginnen oft mit einer unscheinbaren Bewegung. Diese hier bestand in dem energischen Hineinstoßen des Federhalters ins Tintenfläschchen, ausgeführt von der kräftigen Hand Albert Teetjens, eines schönen blonden Mannes von zweiundvierzig Jahren, mit einem geschwungenen Schnurrbart über würzigen Lippen und mit verschwommen blickenden Augen von norddeutsch blaugrauem Glanz und weiten Lidern.
    Er saß, die Hemdärmel aufgekrempelt, am ovalen Tisch seines Wohn- und Eßzimmers, den seine Frau nach dem Abendbrot mal schnell trocken abgerieben hatte, eine große Zeitung als Unterlage benutzend, das Hamburger Fremdenblatt vom Freitag, 27. August 1937. Ein Firmament von durchsichtigem Grünblau spannte sich über die hohen Hinterwände der Häuser, in deren Erdgeschoß Teetjens Laden und Wohnung untergebracht waren, aber er sah nicht auf. Stine Teetjen hingegen verharrte, das Gesicht schräg emporgehoben und den rotblonden Haarknoten infolgedessen tief im Nacken, am geöffneten Fenster. Die Hände mit dem Wischtuch auf dem Rücken verschränkt, ließ sie ihre großen, grauen Augen mit dem Ausdruck verschämten Entzückens in den Abendhimmel schweifen, durstig atmend. Von links über ihnen und von gegenüber her musizierten die Lautsprecher, beide in der gleichen Kammermusik schwelgend, die der Hamburger Sender zusammen mit ganz Deutschland von der Großsendestelle Königswusterhausen empfing. Stine wußte nicht, was für einer Musik sie zuhörte, und daß es Mozarts Klarinettenquintett war, dem da gleichzeitig die Petersens im Vorderhaus und die Lawerenzens im gegenüberliegenden Seitenflügel lauschten. Aber was da in sieeinströmte, eingeatmet gleichsam mit dem türkisfarbenen Licht, das gefiel ihr sehr. Blaugrüne Musik, dachte sie, Vergißmeinnicht und Rittersporn und Erika im Borsteler Moor. Mittendrinsitzen im warmen Kraut, sich zurücklegen; ach, wie gut das riecht! Und dann ist der Albert da, der bisher mit seinem Spazierstock in Mauselöchern, Maulwurfshaufen und einem verlassenen Fuchsbau herumgestochert hat, sonst kein Mensch weit und breit, bloß ein Flugzeug brummt nach Gotland, und ich kann meinen Rock ausziehen, damit er nicht zerdrückt wird. Albert aber dreht seine Gedanken weg von seinem Tick, wie’s wohl im Innern der Erde aussieht, freut sich über meine Beine und ... Damit kam ihr das Vorhandensein ihres schönen Mannes wieder voll zum Bewußtsein, und daß er sich den ganzen Nachmittag mit dem Abfassen des verdammten Briefes gequält hatte. Die Kasse war so gut wie leer, am Ersten aber die Miete zu entrichten, nicht nur für Wohnung und Laden, sondern auch für Kühlschrank, Schneidemaschine und Wiegewaagen, die heutzutage weiß lackiert und sauber geputzt zum Zubehör einer Schlächterei gehören, wenn die Kundschaft nicht ganz ausbleiben soll. Sie wandte sich um, bemerkte, daß er noch kein Licht gemacht hatte, zog die Pendellampe tiefer über den Tisch, die an einem viel zu starken Haken von der Decke hing, knipste den Schalter und sagte halb spottend: »Gut, daß du noch nichts aufs Papier gesetzt hast. Tätest dir bloß die Augen verderben.«
    Er ging auf ihren Scherz nicht ein. Schwer brütend starrte er auf den leichten Schulfederhalter, hellbraun, mit dunkelbraunen Tupfen getigert, den er zwischen seinen behaarten Fingern hielt, sauber gewaschen und von rötlicher Haut. »Ich krieg’s nicht zusammen, Stine. ’S ist ja, als sollt’ man eine lockere Sanddüne hinaufsteigen, und man rutscht in einemweg ab. Diktier mir deins. Das klingt noch am besten.« Damit nahm er vom Bord über dem roten Plüschsofa eine Zigarrenkiste, roch wollüstig hinein, wählte unter den gefleckten Fehlfarben, stellte die Kiste wieder weg und zog, während Stine aus der Kommode eine schwarz gebundene Bibel nahm, sein großes Klappmesser, um die Spitze abzuschneiden. Dann atmete er den würzigen Rauch ein und aus und sagte, während sie einer zufälligen Stelle des Alten Testaments ein bekritzeltesBlatt entnahm: »Tja, die Sorge um den verfluchten Zaster. Haben die einen beim Halse, sitzt man allein in seiner Stube, als wäre nicht Stadt Hamburg rund um einen herum, mit anderthalb Millionen Volksgenossen und lauter vollen Safes.« – »Niemand ist allein«, sagte Stine, mit den Augen, besonders
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