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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek
Autoren: Arnold Zweig
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müssen, woher das sei. Und niemand, sie am wenigsten, wäre imstande gewesen, einem so offenkundig hilfsbereiten, warmherzigen Manne Bildungslücken vorzuwerfen. Die gehörten fast zu seinem Typ, einem guten, neuen, wohlverstanden.
III
    Es geht auf den Herbst zu, dachte Herr Koldewey, während er seine Rasiersachen zurechtmachte. Perlmutternes Morgenlicht und von der See her schon eine kühle Brise, die Wipfel der Ebereschen angegilbt und die Früchte darin kostbar rot wie mexikanische Opale. Ohne den September könnte unsereiner das ganze Leben kaum noch so gut mitspielen. Wer die Sechzig überschritten hat, lebt ohnehin im September, bestenfalls. – Er hätte sich gern einen Backen- oder Kinnbart stehen lassen, wie er eigentlich zur hamburgischen Tradition eines älteren Herrn gehörte. Aber sein Sinn für Physiognomie und passendes Aussehen verbot ihm das. Sein Kopf, an welchem mit hoher Stirn, langer Oberlippe und langem Kinn, bei leicht offenstehendem Munde, ohnehin alles in die Länge strebte, wäre im Bartschmuck lächerlich hamburgisch erschienen. Wenigstens behauptete das seine Tochter Annette, so oft er auf derartiges hinpirschte, und Annette hatte bei ihm nicht nur einen Stein im Brett. Es gibt geheime Hintergründe innerhalb von Familien und Menschen, aus denen die Handlungen und Meinungen wachsen, die Freunde nur von der Außenseite wahrnehmen, dachte Herr Koldewey, während er seine Wange mit dem vergoldeten Rasierapparat bearbeitete, den ihm ein amerikanischer Freund und Berufskollege geschenkt hatte. Nichts erschien Herrn Koldewey sinnbildlicher für die moderne Gesellschaft als solch ein goldenes Gerät – cäsarischer Luxus, der im Grunde genommen als Material kaum den Werteines Groschens darstellte. Mit seinem ornamentierten Schaft, glatten Flächen und goldenen Glanz war er von den Arbeitern der Gilette-Werke und dem Geschick der Propagandisten zu einer ansehnlichen Dollarware veredelt worden; würdige Gabe eines Zuchthausleiters in New Jersey an einen hamburgischen Staatsbeamten, der innerhalb seines Amtsbereichs auch ein KZ-Lager dulden mußte. Was nun die Hintergründe anlangt, fuhr er in seinen Gedanken fort, so gleicht jeder Zustand meiner Rasierschale hier. Von dem Tischchen, auf dem sie steht, krümmt sie sich jeden Augenblick weg, von ihm aus gesehen ist sie konvex. Auf mich aber krümmt sie sich jeden Augenblick zu, von mir aus ist sie konkav. So steht es um die Beziehungen von Menschen zueinander. Sie werden von ganz verschiedenen Koordinaten beherrscht, je nachdem man sie von außen sieht oder von innen. Es gehört jedenfalls zu den Pflichten des Kulturmenschen, weder alles wissen zu wollen, noch sich in die Karten gucken zu lassen. Sich umzukrempeln wie ein Handschuh vor dem Feldwebel, dem Steuereinnehmer und dem Herrn Pastor war protestantische Ethik, das Geschenk Luthers an seine Fürsten. Kehren Sie gefälligst Ihr Innerstes nach außen, damit wir sehen können, daß auch Sie nichts sind als Teig. Das verlangt heute die Partei. Bitte sehr, meine Herren. Als der Kaiser noch regierte, war ich bismarckisch; während der Republik ein konservativer Hamburger. Und jetzt soll ich vor dem Müll kapitulieren, dem uns diese Schwerindustrie verkauft hat? Das dürfte sich Lebenslinie nennen! Nein, meine Herrschaften. Sie konnten uns einen notorischen Lumpen zum Gauleiter setzen, der sich das E.K.I. selber verliehen hat, gleich Herrn Hitler, und niemals im Kriege war, gleich Herrn Goebbels; sich aber mit dem Flieger- und dem Verwundetenabzeichen schmückt. Diesem Mann und seinem Blockwart bin ich natürlich Rechenschaft schuldig schon am frühen Morgen – denkt er, aber, mit ganz langem A ... Dann trocknete Herr Koldewey sein Gesicht, rieb es mit wohlriechender Essenz ab und säuberte das vergoldete Gerät, zu welchem ein ebenso prunkvolles Etui gehörte. Er wartete sehnlich auf seine Tochter Annette. Immer, wenn das Geräusch eines Motors zu ihm drang, beugte er sich aus dem Fenster; aber es waren zumeist Flugzeuge, die den FlughafenFuhlsbüttel anflogen oder von ihm aufstiegen. Im weiten Himmel brummten kreuzförmige Libellen. Zeitig muß anfangen, wer einen Horch von einem Daimler unterscheiden lernen will, lächelte er. Am Klang nämlich. Thyra und Ingebottel verstehen das, von Annette zu schweigen. Haben eben schon zeitig angefangen, die Gören. Die beiden ersten Namen bezeichneten seine jüngeren Töchter mit den Spitznamen, die sie in der Familie trugen – gutgewachsene, engäugige
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