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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek
Autoren: Arnold Zweig
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junge Damen, die vorhin mit dem Vater bereits gefrühstückt und sich dann von ihm verabschiedet hatten. Solche berufstätige junge Mädchen von Familie wurden zwar wochentags in den Kontoren der Innenstadt und der Staatsverwaltung festgehalten, strebten am Sonntag aber um so eiliger ins Freie, wo sie in der Harksheide oder dem Tangstedter Forst mit ihren Klubs ein heidnisch gesundes Körperleben pflegten, soweit neuere Bedürfnisse des Heeres und der Partei den Wald nicht sperrten. Zum Kaffee hatte Koldewey also noch Gesellschaft, um acht war man allein, um neun, schon gefrühstückt und geschwommen, kam Annette. Wer weise war, legte sich mit seinem Nietzsche wieder zu Bett und rauchte eine Vorstenlanden. Gebenedeite Stille des Sonntagmorgens. Kein Telefon, kein Rapport, keine Besichtigungen. Die Nachteile der Dienstwohnung, der roten Ziegelvilla außerhalb der roten Mauern, aufgewogen durch die Lage weit draußen, wiewohl eng angeschlossen an das hochentwickelte Verkehrsnetz, das die Republik hinterlassen hatte. Und was für Spaziergänge hinüber nach Ohlsdorf, wo man in einem See baden konnte, nachdem man als philosophischer Mensch die Nachbarschaft der Toten auf dem Zentralfriedhof sich hatte gefallen lassen. Die Toten störten nie. Nur die Lebendigen gaben zu Klagen Anlaß. Das KZ-Lager da drüben, beispielsweise. Unbeeinflußbar, unzugänglich, nicht loszuwerden.
    Erst als Annette ihn mit einem Kuß weckte, stellte sich heraus, daß Herr Koldewey eingeschlafen war, die Zigarre ordentlich im Aschenbecher und die Hand mit der »Götzendämmerung« auf der Bettdecke des Doppelbettes, das er, obwohl schon so lange Witwer, nie abgeschafft hatte. »Kind«, rief er aus, »bist du durchs Fenster hereingeflogen? Wie ist es dir ergangen? Glänzend, wie ich sehe.« – Sie setzte sich auf den Bettrand und puderte ihreNase, die von der Fahrt in dem schlanken Sportwagen, ihrem »Adlerchen«, gerötet worden und ohnehin sommersprossig war. »Ich bringe dir etwas mit«, sagte sie. – Dich selbst, dachte er, bewegt von einem Gefühl der Eifersucht gegen ihren Freund, wovon er sich durchaus Rechenschaft gab; ein Liebhaber Nietzsches durfte sich nichts vormachen. »Wart ein Weilchen«, sagte er, »sonst vergesse ich die Stelle, über der ich weggedöst sein muß. Ist ein Mensch verantwortlich für den Schatten, den er wirft, ein Dichter oder Denker für die Mißverständnisse, die er erzeugt oder denen er unterliegt? Das sag mir mal.« – »Eine Kernfrage des Morgens früh«, lächelte sie, die feinen Brauen zusammenziehend. »Dein Nietzsche zum Beispiel für ›blonde Bestie‹ und dergleichen?« – »Das Grundproblem unserer Tage«, bestätigte er und las vor: »›Wie wenig gehört zum Glücke! Der Ton eines Dudelsacks. Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum. Der Deutsche denkt sich selbst Gott Lieder singend.‹ – So Friedrich der Schnauzbärtige. Nun paß auf. Er spielt hier auf den Vers an:
    ›So weit die deutsche Zunge klingt
    Und Gott im Himmel Lieder singt.‹
    Offenbar scheint er hier, gleich dem Volksmund, Gott singend und im Nominativ vorzuführen, statt, wie es doch gemeint ist, passiv und im Dativ. Jedenfalls deutet er nirgendwo das Gegenteil an. Nicht?« und er hielt ihr das Buch hin. Annette aber nahm und schloß es. Sie hatte lange genug die Mutter vertreten, um sich alles gestatten zu können; außerdem aber drängte es sie, die große Freude loszuwerden. »Herr Footh«, schoß sie los, »läßt sich dir empfehlen; er ist auf der Fährte eines Stellvertreters für Herrn Denke und hofft, morgen abend schon berichten zu können. Ich habe ihn daraufhin zu einer Schüssel Krebse eingeladen, deine Einwilligung vorausgesetzt.« – Herr Koldewey richtete sich langsam im Bette auf, sog mit der Unterlippe an seinem kurz gehaltenen Schnurrbart, umfaßte mit beiden Händen die Schultern seiner Tochter. »Berichte mehr, Annette«, bat er, und die Lider von den gewölbten Augäpfeln weit zurückgezogen, hörte er ihr zu. »Hm«, sagte er dann. »Du weißt, daß ich in dieser ganzen Angelegenheit passiver geblieben bin, als es meiner Naturentspricht. Warum?« – »Weil du diese vier Hinzurichtenden für unschuldig hältst?« fragte sie zurück. »Kluge Kleine«, nickte er. »Auf keinen Fall so schuldig, wie das Urteil will. Wenn die Prozeßführung aus einer Schießerei zwischen aufgeregten Jugendgruppen überlegte Morde konstruieren muß, so ist das ihre Sache, die Sache preußischer Juristen in Altona. Nun paß
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