Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek
Autoren: Arnold Zweig
Vom Netzwerk:
wo vor dem breiten Fenster im fünften Stock des Bürohauses die von Dunst und Dampf überwölkte, grau bewegte Fläche des Hafens sich ausdehnte – eines kleinen Teiles vielmehr, über dem Möwen blitzten, Kräne knirschten, den Schuten und Fährboote durchzogen und hinter dem sich um den hoch aufsteigenden Turm von St. Michaelis ein Stück von Hamburg lagerte, die wie ein Insektenbau dicht gedrängte, von Häusern wimmelnde Innenstadt. Kapitän Carstanjens »Neunauge« befuhr die Mittelmeerroute und kam gerade, alle seine Tanks voll hochwertigen Öls, aus Haifa. Er war bestrebt, zu wissen, ob seine nächste Fahrt nur bis Konstanza oder durchs Schwarze Meer nach Batum führen werde. Er wurde Mitte Oktober fünfzig Jahre alt und wünschte, diesen Ehrentag daheim zu verbringen und Sohn und Schwiegersohn dabei zu haben; da der eine bei der Lufthansa angestellt war, der andere bei der Reichsbahn, war es höchste Zeit zum Disponieren. »Beruhigen Sie sich, Käppn«, sagte Footh, »das hängt nicht ganz von mir ab. Mitte Oktober sollen Sie bestimmt wieder zu Hause sein, aber vielleicht kriegen wir Schmieröl aus Tampico, und dann verschiebt sich dieses und jenes. Übermorgen wissen wir Bescheid.« Er fragte ins Telefon, ob Fräulein Petersen schon erfahren habe, wohin die Verteilungsstelle das Öl von »Neunauge« geliefert haben möchte; wo, unbeschadet der Bohrarbeiten für die Fundamente der Elbhochbrücke, über oder unter der Erde, gerade Platz für Petrol sei. »Wär’ ja wunderbar, wenn solch ein Riesenwerk unsere Unterelbe bei Finkenwärder überspannte oder sonstwo. Gruß und Sinnbild des Neuen Reiches«, äußerte Herr Footh ernst, zu seinem Besucher hingekehrt. »Leider hapert es mit dem Untergrund, behaupten die Geologen. Nun, der Führer wird’s schon schaffen.« Eine große Wandkarte hinter seinem Kopf zeigte Nordwestdeutschland mit Flughäfen, Autostraßen, Großtankstellen undverschiedentlich gelben Kreisen, nahe von Eisenbahnen und Kanälen. Da lagen die großen unterirdischen Reservoire, die der Heeresleitung unterstanden. Auf der linken Schmalseite des Zimmers aber, und die massige blaue Gestalt Kapitän Carstanjens verdeckte sie zum Teil, hing eine mehr schematische Weltkarte kleineren Maßstabes, auf welcher die Petroleum liefernden Häfen mit roten Bohrtürmen angegeben waren, kleine Fähnchen mit Ziffern eins bis fünf bezeichneten Punkte, an denen sich gerade Herrn Fooths Flottille befand. »Was seh’ ich, Sie sind noch in Haifa!« rief Herr Footh munter, drückte eine Klingel und ließ von dem eintretenden Fräulein Krüger das Fähnchen drei von Haifa nach Hamburg übertragen. In Spanien siegte Franco. Neville Chamberlains Engländer wagten nicht zu mucksen, wenn ›unbekannte U-Boote‹ britische Frachtschiffe versenkten oder mit Kanonen beschossen, und die russischen Hilfsmaschinen erwiesen sich als Dreck. Das autoritäre Prinzip setzte sich überall durch, wo es offen auftrat, noch mehr aber im geheimen. »Neugierig, was uns Kapitän Meinke aus Rio berichten wird. Lateinamerika segelt großartig voran. In den USA. machen die Republikaner, mit dem deutschstämmigen Wendell Willkie an der Spitze, bei den Wahlen übers Jahr bestimmt das Rennen – nein, ich irre mich, erst in zwei Jahren rutscht Mr. Roosevelt in die Versenkung. Der alte Löwe Großbritannien hingegen weiß sehr gut, daß seine Zähne wackeln. Wie sieht’s für ihn und seine Juden in Palästina aus? Aufstände im ganzen Lande. – Stopfen Sie sich doch noch eine Piepe, Käppn.« – Carstanjen wußte, daß seine Abrechnungen inzwischen geprüft wurden, und daß er also noch gut eine Viertelstunde hier werde sitzen müssen; er stopfte, paffte und berichtete. Überall im Lande flogen Minen unter den Lastwagen auf, die englische Truppen an besonders bedrohte Plätze beförderten. Just während seiner Anwesenheit in Haifa war im Geschäftsviertel eine Aktentasche mit einer Bombe explodiert, die einem arabischen Radfahrer die Beine lädierte. Im Hafen machten sich die Italiener breit, die Schiffe des Lloyd Triestino und die Flugzeuge der Ala Littoria; die Briten in ihrem Dünkel ließen alles ruhig gehen. Die getrennt gesprochenen Sp- und St-Laute gaben den Sätzen des Kapitäns ein anheimelndesGepräge, während er erzählte, daß die deutsche Kolonie in Haifa von den Geheimnissen des Aufstandes mehr wüßte als der Intelligence Service, wenn auch weniger als das italienische Konsulat. Eine besonders hübsche Sache habe er selber
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher