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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco
Autoren: Nicolas Remin
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    Die Bombe, aus der gaffenden Menge herausgeschleudert, detonierte mit einem gewaltigen Feuerball, als die Kutsche Napoleons III. vor dem Pariser Opernhaus zum Stehen kam. Die Explosion ließ das Glasdach über dem Eingang einstürzen, zerfetzte ein halbes Dutzend zivile Opernbesucher und brachte die Gasbeleuchtung auf der Straße zum Erlöschen. Nachdem man die verkeilte Kutschentür aufgebrochen hatte, stellte sich heraus, dass der Kaiser und die Kaiserin unverletzt waren. Als Kaiserin Eugénie die Loge mit blutbeflecktem Kleid betrat, ging ein besorgtes Raunen durch das Parkett, doch es handelte sich lediglich um das Blut eines Adjutanten. In der Pause nahm das Kaiserpaar die Glückwünsche des herbeigeeilten Kabinetts entgegen. Die Rückkehr des kaiserlichen Paars in die Tuilerien glich einem Triumphzug. Ganz Paris war auf den Beinen, um den wunderbar Verschonten zuzujubeln.
    Ein Triumphzug. Eine ganze Stadt, die den Verschonten zujubelt.
    Franz Joseph legte die Mappe mit den Zeitungsaus schnitten wieder auf den Schreibtisch zurück, erhob sich und trat ans Fenster. Die herbstliche Sonne hatte die Wolken im Westen zu einem verwaschenen, grauen Federstrich verfärbt, und ein plötzlicher Windstoß tauchte den Innenhof der Hofburg in gelbliches Blättergeflatter. Auf der anderen Seite des Platzes fegte ein alter Mann mit einem Reisig besen Blätter über den Kopfsteinen zusammen; ein zweiter kam angeschlurft und blieb stehen, um mit ihm zu plaudern. Franz Joseph schloss die Augen, und einen Moment lang verwandelte seine Phantasie die beiden alten Männer in eine jubelnde Menschenmenge, die ein wilder Sturm monarchistischer Begeisterung vor seine Fenster getrieben hatte.
    Eine ganze Stadt, die den Verschonten zujubelt.
    Die Idee war genial. Vor allem war sie seine eigene Idee, obwohl er sie, zugegebenermaßen, zunächst als nicht ganz ernst gemeinte Andeutung geäußert hatte, fast ein wenig erschrocken über seine eigene Kühnheit. Dass sein Generaladjutant, Graf Crenneville, die Andeutung aufgegriffen und die konkrete Planung veranlasst hatte, gab ihm jedoch nicht das Recht auf geistige Urheberschaft. Franz Joseph nahm sich vor, gegebenenfalls darauf hinzuweisen – wenn alles befriedigend verlaufen war.
    Er trat vom Fenster zurück, als Crennevilles schwarze, von zwei Pinzgauer Pferden gezogene Kutsche den Innenhof überquerte, sich den Wachsoldaten näherte und rumpelnd zum Stehen kam. Die Soldaten salutierten, dann zogen die Pferde wieder schnaufend an, und er hörte, wie das Klappern der eisenbeschlagenen Hufe leiser wurde und der Wagen in der Durchfahrt verschwand.
    Sie waren also gekommen – Graf Crenneville zusammen  mit diesem Oberst Hölzl –, und sie würden in ein paar Minuten sein Arbeitszimmer betreten, um die Einzelheiten zu besprechen. Franz Joseph spürte, wie sich sein Magen verkrampfte. Er schloss den angelehnten Fensterflügel mit einem militärischen Ruck und zog seine Uniformjacke am Hals zusammen – es fröstelte ihn. Die Öfen seines Arbeitszimmers, riesige weiße Kachelöfen, die von separaten Flu ren aus beheizt wurden, stammten aus den Tagen Maria Theresias und spendeten nur wenig Wärme. Wenn in sechs Wochen der Winter einsetzte, würde er sich wieder mit scaldinos, tragbaren kleinen Öfen voll glühender Holzkohle, behelfen müssen.
    Nein, dachte er seufzend, während er wieder an seinem Schreibtisch Platz nahm und mechanisch nach dem Federhalter griff, niemand konnte der Kaiserin verdenken, dass jeder längere Aufenthalt in der Hofburg sie an den Rand eines Nervenzusammenbruchs trieb. Wie sehr sie unter der stickigen Luft der Hofburg und dem düsteren Prunk des spanischen Hofzeremoniells litt, wusste er, aber er hatte ihr nie zu helfen vermocht. Alles, was er tun konnte, war, Verständnis für ihre Zustände aufzubringen und ihr zu versichern, dass er sie liebte – falls es ihr denn, dachte er mit einem Seufzer, noch etwas bedeutete.
    Jedenfalls schien ihr die kleine Venedigreise, die sie in der nächsten Woche antreten würden, nicht unwillkommen zu sein. Ganz gegen ihre Gewohnheit hatte sie seine Aufforderung, ihn auf diesem Besuch zu begleiten, nicht zurückgewiesen, schien sich fast ein wenig auf ein Wiedersehen mit der Lagunenstadt zu freuen.
    Was genau er in Venedig plante, hatte er ihr vorsichtshalber verschwiegen. Aus naheliegenden Gründen war es erforderlich, den Kreis der Eingeweihten so klein wie möglich zu halten. Wenn die Sache ans Licht kam, war der politische
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