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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek
Autoren: Arnold Zweig
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Schuhe über seinem Kopfe das eiserne Deck durchlaufen und zum Fallreep hinstreben. So schnell sind wahrscheinlich seit dem Aufgang von Adolf Hitlers Sonne Nazihelden nicht mehr getürmt. Und die vier Schiffe mit den Seelen der vier Hingerichteten am Bug luden ihre Güter aus und gute deutsche Waren ein und dampften wieder ab, Hammer und Sichel im Seewind oder vielleicht auch im Regen flatternd, so genau weiß ich das nicht mehr. Aber, sehen Sie, auf irgendeine Weise wärmte mir dieses Erlebnis mein Herz – mein sehr bekümmertes Herz, denn ich mußte meine Heimat verlassen, wissend, daß sie unaufhaltsam einem Katarakt entgegentrieb, der die ganze Erde in einen Tumult der Zerstörung hineinreißen würde. Zwei meiner Kollegen blieben in Hamburg, mit den Resten der Gemeinde, und Siewissen ja, wie tadellos sie sich gehalten haben, nach Lettland mitgingen und nach Estland, und dann verschwanden. Ich frage mich manchmal, ob wir an all dem Furchtbaren mitschuldig sind, das Drittes Reich heißt, und ob wir durch Widerstand gegen das Hitlerregime etwas hätten ändern können. Waren ja doch bloß eine halbe Million, wir deutschen Juden.«
    Oberleutnant Kley klopfte seine Pfeife aus und blies den Saft des Tabaks aus dem abgeschraubten Rohr. »Unser Fehler begann natürlich viel früher, nach dem vorigen Krieg, als die Junker wieder munter wurden und unsere Banken und Stahlmagnaten mit Hilfe ihres Geldzaubers die Kriegsschuld als Geschrei gegen den Versailler Frieden in die Luft pusteten. Damals hätten wir alle mit Timme sein müssen und dem gescheiten Herrn Mengers. Aber wir mußten unsere Existenz neu aufbauen, und so tat ganz Deutschland, und das Ergebnis hieß: Reichspräsident Hindenburg, und schließlich: Reichskanzler Adolf Hitler. Habe oft darüber nachgedacht, wenn ich hier oder im Sudan gegen die Malaria focht, mit Mikroskop und Reagenzglas, die uns ja genug zu schaffen machte. Westafrikanisches und indisches Blut kreuzte sich hier mit neuseeländischem und australischem in Magen und Darm der ägyptischen Anopheles – und das durfte man auch ein Wunder des Dritten Reiches nennen –; mit Herrn Goebbels selig zu sprechen.«
    »Verstehen Sie übrigens, daß Deutschlands doch nicht machtlose Oberschicht dem Rattenfänger von Braunau und seiner Flöte Goebbels folgte bis in den Abgrund, ins Unauslotbare, schwächliche Versuche abgerechnet?« fragte Doktor Plaut beklommen.
    »Nothing succeeds like success – sagt der Amerikaner, und an ›success‹ fehlte es ja im Anfang ebensowenig wie 1914. Uns schmissen sie diesmal zum Glück vorher hinaus.«
    »Und so haben wir’s überlebt, befördert und belohnt, wir ewigen Hamburger. Denn ist’s hier nicht schön im Gelobten Land, im Schatten der Oliven- und Feigenbäume?« schloß Kapitän Plaut, die braunen Augen schwermütig auf all dem Glanze ruhen lassend, den kleinen Wellen weit unten am Fuß der Klippe, den graugelben Streifen vertrockneten Pflanzenwuchses auf den Abhängen der Wadis. Und Wilhelm Kley verstand sein Gefühl. Undso unterließ er es für dieses Mal, den Namen auszusprechen, der ihm auf der Zunge lag – zu fragen, ob Herr Plaut etwas von der schönen Thyra Koldewey gehört habe, ihrem Vater, ihren Schwestern. Vielleicht lagen sie unter den Trümmern einer roten Villa in Fuhlsbüttel begraben, vielleicht auch lebten sie zwischen den Ruinen. Daß Ingeborg Koldewey, genannt Ingebottel, einmal von einem englischen Kriegsgericht zur Strafe des Aufhängens verurteilt werden würde, weil sie ein Frauenlager in der Lüneburger Heide auf ruchlose Art in eine Frauenhölle verwandelt hatte, als bestialische Gehilfin wissenschaftlicher Bestien, das erfuhr er, als die Zeit dafür gekommen war, durch Zeitung und Lautsprecher. Auch, daß Herr Heinrich Koldewey sich unter den Gehängten befand, die in letzter Minute den Wahnsinnigen vom Obersalzberg hatten beseitigen wollen. Die schöne Thyra aber blieb verschwunden, und als er später als englischer Beauftragter in Hamburg Dienst tat, blickte er manchmal aus dem Fenster seines Büros nach der Richtung zum Flugplatz hin, mit einem Ernst im Herzen, der sich nicht nur auf diese eine verschwundene Deutsche bezog, sondern auf die Seele eines Volkes, das von ihr schön verkörpert worden war, und das nie auf die Stimmen hatte hören wollen, die es vor dem Wege warnten, auf dem es seinen Oberschichten folgte, schuldhaft und schuldlos, dem Weg zum Abgrund.

Anhang

Informationen zum Buch
    Der Wandsbeker Schlächtermeister
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