Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sohn des Haeuptlings

Der Sohn des Haeuptlings

Titel: Der Sohn des Haeuptlings
Autoren: Alfred Weidenmann
Vom Netzwerk:
Ein gewisser Herr Müller

    Als Karlchen Kubatz von den Mülltonnen und den abgestellten Fahrrädern her über den völlig leeren Schulhof des Prinz-Ludwig-Gymnasiums gelaufen kam, war es genau eine Minute vor acht. Und als er in seiner Jeansjacke durch das hohe Portal die Eingangshalle erreicht hatte, läutete es zum erstenmal.
    Karlchen turnte über die breite Steintreppe, übersprang mal zwei oder drei Stufen, legte in der Biegung beim ersten Stock einen Zwischenspurt ein und wollte im zweiten Korridor gerade elegant um die Ecke kurven, als er plötzlich lautes Männerlachen hörte.
    ,0 du liebe Tante, das ausgerechnet mir!’ dachte Karlchen Kubatz und japste nach Luft. Er blieb ruckartig stehen und drückte sich an die Wand. ,Schüler lachen nicht so unverfroren’, schoß es ihm durch den Kopf. ,Und außerdem kommt dieses Gewieher vom Lehrerzimmer her.’
    „Aber, aber, Herr Kollege“, war jetzt deutlich Oberstudiendirektor Senftleben zu hören und dann die Fistelstimme von Assessor Dobschütz: „Drehen Sie sich doch mal um, damit wir alle in den vollen Genuß kommen.“
    Die Herren wollten sich jetzt geradezu kugeln vor Vergnügen.
    ,Na also’, stellte Karlchen in Gedanken fest und schob ganz vorsichtig zuerst seine Nase und dann sein rechtes Auge um die Korridorecke.
    Kaum fünfzehn Meter entfernt stand eine Gruppe von Lehrern unter der offenen Tür. Unter ihnen der Direktor und im Mittelpunkt Studienrat Dr. Purzer mit seiner Hornbrille. Die Herren waren in blendender Laune, und weil jetzt auch aus dem Raum hinter ihnen Rufe und neues Lachen kamen, nahm Herr Senftleben einen Zug aus seinem dunklen Zigarillo und spazierte zusammen mit den Herren, die bereits ihre Hefte und Bücher für den
    Unterricht unter dem Arm hatten, noch einmal vom Flur in das Lehrerzimmer zurück.
    Und als dabei Studienrat Wagemann, der eigentlich jetzt im Chemiesaal erwartet wurde, die Tür hinter seinen Kollegen schloß, machte sich Karlchen Kubatz im selben Augenblick auf die Socken. Zuerst behutsam auf den Zehenspitzen und, als er das Lehrerzimmer hinter sich hatte, im Eiltempo. Am Ende des Korridors verschwand er blitzschnell im Klassenzimmer der 8 B.
    Die Klasse machte den Eindruck eines vornehmen englischen Clubs kurz vor dem Fünf-Uhr-Tee. Man saß zu dritt oder viert zusammen, streckte die Beine von sich, plauderte halbwegs leise miteinander oder hörte zu. Hans Pigge, dessen Eltern die Apotheke am Karlsplatz gehörte, schrieb noch an seiner Hausarbeit herum und warf dabei gelegentlich seinen hellblonden Pagenkopf in den Nacken. Manuel Kohl vom Blumengeschäft am Rathaus löste ein Kreuzworträtsel, und der etwas dickliche Otto Hugen-dubel, genannt Sputnik, lehnte mit ein paar anderen an den Fenstern, die heute zum erstenmal in diesem Jahr offenstanden.
    Nach fast fünf Monaten Winter mit klirrender Kälte und Bergen von Schnee war es erst seit etwa einer Woche allmählich wärmer geworden. Allerdings immer unter einer dichten Wolkendecke. Bis in der vergangenen Nacht diese Wolken weit hinter dem Zobelberg verschwunden waren. Ein ganz milder Wind hatte sie mit sich fortgenommen, und jetzt strahlte endlich wieder die Sonne. Der Frühling war da.
    „Hört mal her, ihr Knalltüten“, keuchte Karlchen Kubatz, als er die Tür hinter sich zugemacht hatte.
    Die Klasse ließ sich überhaupt nicht stören. Kaum daß einer aufblickte.
    Daß Karlchen Kubatz gerade noch mit dem Läuten jeden Morgen durch die Tür schlich, oder meistens auch noch eine ganze Weile später, war längst die alltäglichste Sache von der Welt. Und daß sich der kleine Junge mit dem Bürstenhaarschnitt gern ein wenig wichtig machte, war auch nichts Neues.
    „Es ist ein Jammer mit euch“, bemerkte Karlchen. Sein Gesicht zeigte tiefes Bedauern, und er schüttelte den Kopf hin und her. Dabei setzte er sich in seine Bank und fing damit an, Bücher aus seiner Ledertasche zu kramen.
    „Mach’s nicht so spannend“, bemerkte Hans Pigge. Er war mit seiner Hausarbeit gerade fertig und klappte sein Heft zu. „Wird sowieso nur ‘n alter Hut sein, den du auf der Pfanne hast.“
    „Schön, kommt also kein Wort über meine Lippen“, antwortete Karlchen beleidigt. „Vielleicht wär’s auch ohnehin schon zu spät —Er horchte zur Tür hin.
    Vom Korridor her waren jetzt bereits entfernte Schritte zu hören.
    Vorerst noch leise.
    Tack — tack — tack —
    „Was mit Purzer?“ fragte jetzt Sputnik vom Fenster her.
    „Allerdings -.“
    „Himmeldonnerwetter,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher