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Spiel des Lebens 1

Spiel des Lebens 1

Titel: Spiel des Lebens 1
Autoren: Etzold Veit
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Prolog
    10. September 1998
    D as schwarze Auto bewegte sich in etwa fünfzig Meter Entfernung hinter dem Jungen her. Langsam kroch es näher, während die gespiegelten Scheiben der Limousine die vom Herbst gefärbten Bäume reflektierten. Hätte man das Auto direkt von vorne gesehen, so hätte man nicht geglaubt, dass es sich überhaupt bewegte. Es sah eher aus, als würde es auf seinen vier riesigen Reifen schlafen wie ein großer, schwarzer Käfer.
    Doch es schlief nicht. Es kroch langsam näher, näher und näher, nicht schneller, aber auch nicht langsamer als der Junge, der in fünfzig Meter Entfernung vor dem kauernden schwarzen Monstrum lief.
    Für den Jungen war es heute ein besonderer Tag, denn es war sein Geburtstag. Die anderen Kinder in der Schule, die ihn ärgern wollten, sagten ihm immer, dass er doch eigentlich an einem ganz anderen Tag Geburtstag hätte. Doch er beachtete sie nicht. Was wussten sie denn schon?
    Er dachte an Geschenke, er dachte an Luftballons, und er dachte an eine Geburtstagstorte.
    Seine Schritte wurden schneller, als er in die Straße einbog, in der sein Elternhaus stand. Der frische Wind des Spätsommers, der schon eine Spur des kühlen Herbstwindes mit sich trug, wehte ihm die Haare ins Gesicht. Sein Blick folgte den Blättern, von denen ein paar bereits zu Boden fielen, schweifte über die klassizistischen Fassaden des noblen Londoner Viertels, die Stein- und Marmorfassaden im Stile des 18. Jahrhunderts, die gepflegten Gärten und hohen gusseisernen Zäune. Wie oft war er diesen Weg zurückgegangen, hatte die Schönheit der Häuser bewundert, die knorrige Wildheit der Bäume und die hügelige Straße, die das Viertel von Ost nach West durchmaß. In etwa zweihundert Meter Entfernung sah er bereits die hohe Kuppel seines Elternhauses, die sich im frühherbstlichen Nachmittagshimmel wie ein Leuchtturm in blauer See abzeichnete.
    Langsam, ganz langsam, hatte der Wagen die Geschwindigkeit erhöht. Der Motor, kaum zu hören, summte gleichzeitig lauernd und geduldig wie ein Insekt, das in der Luft schwebte, doch innerhalb von einer Sekunde herabstoßen konnte, um sein Opfer zu fangen, tot oder lebendig.
    Der Junge reckte den Hals, um die Kuppel besser im Blick behalten zu können. Er hatte dieses Spiel oft gespielt, die Kuppel betrachtet, während er sich dem Haus genähert und nur aus den Augenwinkeln wahrgenommen hatte, wie die Nachbarhäuser und Gärten langsam an ihm vorbeizogen. Es war der Anblick der Kuppel, die seinen Blick gebannt hielt und ihn nach Hause führte.
    Der Wagen kroch näher. Dreißig Meter. Zwanzig Meter. Zehn Meter.
    Ein Vogel flog über die Kuppel, der Blick des Jungen heftete sich an ihn, eine Schwalbe, die von links nach rechts durch das spätsommerliche Panorama flog. Seine Augen folgten ihr, bis sie verschwunden war.
    Dann ging plötzlich alles ganz schnell.
    Zwei der Türen öffneten sich, die Beifahrertür und die Tür rechts hinten schnappten auf wie zwei hungrige Mäuler. Ein Mann wurde von dem Wagen ausgespuckt, sprang hinaus, die Augen hinter einer dunklen Brille. An den Füßen leichte Schuhe aus Segeltuch, deren Schritte man kaum hören konnte.
    Er klemmte den Jungen unter den Arm und warf ihn in den hinteren Teil des Wagens, wo zwei Hände sich schon nach ihm ausstreckten und nach der Tür griffen. Im selben Moment wurde auch der Mann von dem schwarzen Auto wieder verschluckt. Beide Türen fielen mit einem leisen, fauchenden Knall zu, während der Wagen, der eben noch mit bedrohlicher Langsamkeit durch das Viertel geglitten war, beschleunigte und zügig aus dem Viertel herausfuhr. Vorbei an den gusseisernen Zäunen, den rosenbekränzten Hecken, den alten Herrenhäusern und der Kuppel der elterlichen Villa.
    Der Junge schrie, er schrie so laut er konnte, doch die, die ihn hören konnten, lachten nur. Sie wussten, dass dort drüben in der Kuppelvilla jede Spur seines Lebens bereits ausgelöscht worden war. Ein Leben, das ihm niemals gehört hatte.

13 JAHRE SPÄTER
    1
    TAG 1: 1. September 2011
    E s sollte eine besondere Nacht für Emily Waters sein. Die erste Nacht im Studentenwohnheim. Morgen früh würde das Semester am King’s College London und damit ein neuer Lebensabschnitt beginnen. Englische Sprache und Literatur. Ihr Vater hatte ein paar Bemerkungen in puncto brotlose Kunst gemacht, wusste aber auch genau, dass man als King’s-College-Absolvent eigentlich überall einen Job bekam. Zur Not würde Emily zusätzlich noch einen Abschluss in
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