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Spiel des Lebens 1

Spiel des Lebens 1

Titel: Spiel des Lebens 1
Autoren: Etzold Veit
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wieder.
    Manchmal waren es gerade die trivialen Dinge, die unheimlich waren.
    Das Foto war zerknickt und angerissen. Irgendein Motiv war darauf, doch sie konnte es kaum erkennen, denn jemand hatte das Foto mit schwarzer Farbe übermalt. Sonst war nichts darauf zu sehen. Sie schaute schräg über die Oberfläche und tastete die Farbe ab. Da war irgendetwas. Als wäre etwas darauf geschrieben worden, das man nicht erkennen konnte.
    Emily dachte nicht lange nach. Mit wenigen Schritten war sie auf der Toilette, überzeugte sich, dass niemand dort war, und schaltete das Licht aus. Und dann sah sie es – und ihre Erwartungen, oder Befürchtungen, wurden bestätigt. Denn auf das schwarze Foto waren in einer Schrift, die nur im Dunkeln leuchtete, Sterne gemalt, Sterne und Sonnen, die sie wie funkelnde Augen unverwandt anstarrten, wie in ihrem Traum. Und Buchstaben. Wörter.
    Und es war der Sinn dieser Worte, die Emily einen erstickten Laut von sich geben ließen, ehe sie in der dunklen Toilette hilflos an der Wand herab auf den Boden rutschte, während in ihren Ohren ein hoher, fiepender Laut ertönte, der nicht aufhören wollte. Ein bitterer Geschmack war in ihrem Mund, als sie die Worte wieder und wieder las, die dort in der Dunkelheit strahlten, hell wie die Sterne und dunkel wie der Tod:
    DU HAST MIR MEIN LEBEN GESTOHLEN.
    UND ICH HOLE ES MIR ZURÜCK.

6
    Er gab die Nummer ein und wartete, bis der Automat die Scheine ausspuckte. Dann kam die Karte. Er steckte sie noch einmal in den Schlitz, wieder die Nummer, wieder kamen Scheine. Und noch einmal. Dreimal musste er den Maximalbetrag abheben, bis er endlich genug hatte.
    Er stecke das Geld ein. Der Stein auf seinem Ring blitzte im Licht der Straßenlaternen. Er schaute auf den Abrechnungsbeleg des Geldautomaten.
    HSBC , Filiale Old Castle Street, Whitechapel.
    In Whitechapel hatte damals Jack the Ripper sein Unwesen getrieben. Manche sagten, er sei ein verrückter Arzt gewesen, andere behaupteten, die Krone habe ihn zu den Massakern beauftragt, um die Zeitungen durch die Mordserie davon abzulenken, dass einer der Thronfolger der Windsors ein unehelicher Sohn war.
    Er sah sich um, während er mit schnellen Schritten die Straße entlangmarschierte. Ein weiblicher Junkie tauchte plötzlich neben ihm auf und verlangte Kleingeld. Er gab ihr einen der Scheine. »Kauf dir was zu essen«, sagte er. »Zu essen , okay?«
    Er überquerte die Kreuzung und betrat den Club. Abgestandene Luft aus ranzigen Kippen und Alkohol stieg ihm entgegen, getragen von einer dröhnend hämmernden Mischung aus Gothic Metal und Techno. Bleiche Gesichter mit Piercings und Tätowierungen an den Tischen, die irgendwas aus irgendwelchen Bechern tranken oder irgendwas anderes durch andere Wege einnahmen. Ketten mit Pentagrammen und metallene Totenschädel, die an langen Ohrringen hingen.
    In der Mitte stand die riesige Bar und hinter der Bar stand Scythe, was so viel wie »Die Sense« hieß. Ihm gehörte der Club, und er konnte sehr ungemütlich werden, wenn man ihn mit einem anderen Namen als »Scythe« ansprach. Sein kahler Schädel war so tätowiert, als würde man das Gehirn darunter sehen, und ein schwarz gefärbter Irokesenkamm ragte aus der Mitte seines Kopfes heraus wie die Klinge einer Axt. Scythe rauchte, sortierte einige Gläser und nickte ihm kurz zu. Seine zwei Meter sieben überragten den gesamten Club.
    Er schaute zu Scythe hinauf, gab ihm einen der Scheine und stieg die Treppe hinunter. Vorbei an den penetrant riechenden Toiletten, an denen obszöne Angebote und zweifelhafte Telefonnummern standen, noch eine Treppe hinunter bis zu einer Kellertür.
    Er schloss die Tür auf, und ein langer, feuchter Gang öffnete sich, kaum beleuchtet, eine bläuliche Neonlampe flackerte hinter Gittern wie ein Irrlicht. Am Ende des Ganges führte eine Leiter in die Tiefe. Fünf Meter. Er kletterte mit routinierten Bewegungen hinunter. Dahinter ein neuer Korridor. Er ging den Gang weiter, der sich verbreiterte, bis an seiner Seite ein Rinnsal auftauchte, das immer größer und breiter wurde und das einen noch schärferen Geruch ausströmte als die Toiletten von Scythes Club. Irgendetwas platschte in dem Fluss herum. Schwarze Augen schauten aus dem Wasser heraus, schmierige Pfoten patschten über die Oberfläche, Ratten huschten mit zuckenden Bewegungen aus dem Wasser oder ließen sich hineingleiten.
    Der Gang wurde breiter, und während er breiter wurde, hob ein grummelndes Getöse an, schwoll an wie Donner,
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