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Spiel des Lebens 1

Spiel des Lebens 1

Titel: Spiel des Lebens 1
Autoren: Etzold Veit
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Zu sehr erinnerte sie der steife und gravitätische Duktus des Dekans an all die Banker, Mitglieder des Parlaments und Barone und Grafen, die ihre Eltern im Sommer immer zu Kricketturnieren vor den Toren Londons oder zu Cocktailempfängen eingeladen hatten; im Sommer auf die große Terrasse und im Winter unter die riesige Glaskuppel der elterlichen Villa.
    »Hey, Em, du träumst mal wieder! Wir müssen hier lang.« Julia lachte und zog ihre Freundin im Gewühl der Studenten eine Treppenflucht nach oben. Draußen trommelte der Regen gegen die Scheiben. Der Typ von der Studentenvereinigung mit dem blauen T-Shirt, der letzte Woche die Rede gehalten hatte, kam ihnen entgegen und nickte ihnen freundlich zu. »Alles klar bei euch? Geht’s euch gut?«, fragte er im Vorbeigehen.
    »Sogar die Iren fühlen sich hier wohl«, antwortete Julia, und Emily musste grinsen, als sie an Ryan dachte.
    »Das ist mehr, als ich zu hoffen wagte«, sagte der ältere Student, grinste zurück und war schon wieder weg.
    »Frau Reiseleiterin«, sagte Emily und meinte Julia, »was steht denn nach dem Mittagessen an?«
    Julia fingerte im Gehen den Plan aus ihrer Tasche. »Da treffen wir unseren persönlichen Tutor«, sagte sie. »Er ist sozusagen bis zum Abschluss unser persönlicher Ratgeber und hilft uns, so gut er kann. Wir müssen ihm dann nachher den ausgefüllten Zettel geben und besprechen, was wir genau belegen und wann.«
    Emily, die die Frage gar nicht so ernst genommen hatte, horchte auf. »Welchen Zettel?« fragte sie. »Was meinst du damit?«
    »Na, der Zettel, der in unseren Postfächern lag«, sagte Julia, »Ich dachte, du wärst vorhin auch dort gewesen.«
    Emily schüttelte den Kopf.
    Julia drehte sich um und deutete den Flur entlang. »Zweiter Stock, Hauptgebäude, wo wir vorhin auch die Rede gehört haben.«
    Emily nickte und ärgerte sich ein wenig über ihre Nachlässigkeit. »Pass auf«, begann sie, »ich hole die Sachen und komme dann in die Mensa nach. Okay? Hältst du mir einen Platz frei?«
    »Brauch ich nicht«, sagte Julia.
    Emily zog die Augenbraue hoch. »Ach nein?«
    Julia grinste. »Das übernimmt bestimmt schon Ryan. Unser Ire scheint Gefallen an dir gefunden zu haben. Und da hab ich mir erlaubt, uns zum Mittagessen mit ihm zu verabreden.«
    »Alte Kupplerin! Ist doch immer dasselbe mit dir!« Emily drehte sich lachend um und ging gegen den Strom, der Richtung Mensa strebte, zurück ins Hauptgebäude.
    Im Laufen überprüfte sie ihr iPhone. Eine SMS . Von ihrer Mutter. »Na, wie ist der erste Tag? Wenn du Zeit hast, ruf mal an oder texte etwas. Deine Mum.« Emily lächelte nachsichtig. Irgendwie war es ja auch süß, wie ihre Mum sich Sorgen machte. Sie würde sie nachher anrufen.
    Ihre Mutter, Patricia Waters, war Künstlerin, malte großformatige Bilder, die sie auch dann und wann einmal verkaufte, allerdings nicht so häufig und nicht in so hohen Summen, wie sie es sich erhoffte. Gut leben konnten sie alle trotzdem. Das lag aber eher an dem Job von Thomas Waters, Emilys Vater, der Investmentbanker war und als Manager in der Abteilung für Fusionen und Übernahmen bei der amerikanischen Investmentbank Silverman & Cromwell in London arbeitete. Das europäische Hauptquartier der Bank in der Fleet Street 23 war ganz in der Nähe des King’s College.
    »Wenn meine kleine große Tochter dann auch in der City ist, treffen wir uns zum Business-Lunch im Caravaggio . Ansonsten komme ich auch gerne zu euch in die Mensa«, hatte ihr Vater ihr vor einigen Wochen versprochen.
    Doch Emily glaubte nicht recht dran. Sie kannte ihren Vater. Sein Job ging vor, das hatten sie und ihre Mutter immer wieder erlebt. Und jetzt, da er verantwortlich war für globale Fusionen und Übernahmen und chinesische Staatsfonds gerade ein riesiges Portfolio an Unternehmen zusammenkauften, war er sowieso ständig in Asien. Schanghai, Peking, Hongkong und manchmal auch Singapur oder Kuala Lumpur.
    Er hatte Emily angeboten, nach ihrem Highschool-Abschluss einmal mitzukommen, aber die Flüge nach Asien waren ihr einfach zu lang. Mehr als zehn Stunden in einem engen Flieger eingesperrt zu sein war für sie die Höchststrafe. Schon allein die Vorstellung, dass es keine Möglichkeit gab zu fliehen, wenn die Panik überhandnahm, wenn man raus wollte, aber nicht raus konnte, war nicht anders, als würde sie jemand in den Würgegriff nehmen. Irgendetwas war da in ihrem Inneren, das jede Einengung wie einen namenlosen Schrecken behandelte und ihr Herz mit
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