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Im Namen der Heiligen

Im Namen der Heiligen

Titel: Im Namen der Heiligen
Autoren: Ellis Peters
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    An einem schönen Morgen Anfang Mai, den man mit Recht als den Beginn der sensationellen Affäre um die Gwytherin-Reliquien betrachten konnte, hatte sich Bruder Cadfael schon lange vor Sonnenaufgang erhoben, um Kohlsämlinge umzupflanzen. Seine Gedanken galten der Geburt, dem Wachstum und der Fruchtbarkeit und keineswegs irgendwelchen Gräbern und Reliquien und Ermordungen von Heiligen oder Sündern gewöhnlicher Herkunft - fehlbaren Menschen von seiner Sorte. Nichts störte seine Ruhe außer der Notwendigkeit, zur Messe hineingehen zu müssen, zumal die halbe Stunde im Kapitel meistens zehn Minuten länger dauerte als vorgesehen. Es mißfiel ihm, daß er seine Zeit dafür opfern mußte. Viel lieber hätte er sie hier draußen verbracht, bei einer kongenialeren Beschäftigung inmitten seiner Pflanzen, doch er durfte seine Pflichten nicht vernachlässigen. Immerhin hatte er sich offenen Auges für dieses Klosterleben entschieden, und er konnte sich nicht über die Dinge beklagen, die ihm unattraktiv erschienen, da ihm dieses Dasein ansonsten so viel Freude machte und ihm die Befriedigung schenkte, die er auch jetzt fühlte, als er sich aufrichtete und umblickte.
    Er bezweifelte, daß es im ganzen Königreich einen schöneren Benediktinergarten gab oder einen, in dem noch mehr von den Kräutern wuchsen, die man als Gewürze und Arzneien verwendete. Der Großteil der Obstgärten und Ländereien, die zur Shrewsbury-Abtei von St. Peter und St. Paul gehörten, lag nördlich der Straße, außerhalb der Mönchsenklave. Aber hier, im geschützten Garten innerhalb der Klostermauern, bei den Fischteichen des Abts und dem Bächlein, das die Mühle der Abtei betrieb, herrschte Bruder Cadfael unangefochten. Vor allem das Herbarium war sein Königreich, denn er hatte es in fünfzehnjähriger Arbeit schrittweise gestaltet und um viele exotische Pflanzen bereichert, die er eigenhändig und sorgsam gezüchtet hatte. Diese Pflanzen hatte er von den Reisen mitgebracht, die ihn in seiner Jugend nach Venetien, Zypern und ins Heilige Land geführt hatten. Bruder Cadfael war erst in späten Jahren Mönch geworden - wie ein angeschlagenes Kriegsschiff, das endlich in einem stillen Hafen seine Ruhe findet. Er wußte sehr wohl, daß die Novizen und Laienbrüder während seiner ersten Klosterjahre auf ihn gezeigt und ehrfürchtig über ihn getuschelt hatten.
    »Seht ihr den Bruder, der dort im Garten arbeitet - den untersetzten Burschen mit dem schlingernden Seemannsgang? Wenn man ihn so anschaut, möchte man nicht glauben, daß er in seiner Jugend an Kreuzzügen teilgenommen hat. Er war mit Godfrey de Bouillon in Antiochia, als es von den Sarazenen erobert wurde. Und er fuhr als Kapitän zur See, als der König von Jerusalem die ganze Küste des Heiligen Landes beherrschte, und er kämpfte zehn Jahre lang gegen die Korsaren! Schwer zu glauben, was?«
    Bruder Cadfael selbst fand seine wechselvolle Laufbahn keineswegs ungewöhnlich. Er hatte nichts davon vergessen, und er bereute nichts. Auch sah er keinen Widerspruch in der Tatsache, daß er die vielen Schlachten und Abenteuer ebenso genossen hatte, wie er jetzt Freude an der stillen Abgeschiedenheit fand. Um der Wahrheit die Ehre zu geben - die Stille wurde mit kleinen Bosheiten gewürzt, wann immer sich eine Gelegenheit dazu ergab, ebenso, wie er seine Speisen gut gewürzt liebte. Doch er glich trotzdem einem Schlachtschiff, das zur Ruhe gekommen war und dies zu würdigen wußte.
    Wahrscheinlich dachten die jungen Brüder, die ihn beobachteten, daß es in einem Leben wie dem seinen auch Begegnungen mit Frauen gegeben haben mußte, und keineswegs nur ritterlicher Art - und sie fragten sich sicher, ob dies die richtige Grundlage für ein mönchisches Dasein war.
    Was die Frauen betraf, so hatten sie recht. Abgesehen von Richildis, die verständlicherweise keine Lust gehabt hatte, zehn Jahre lang auf seine Rückkehr zu warten, und die Frau eines braven Mannes ohne kriegerische Ambitionen, aber mit guten Zukunftsaussichten geworden war, konnte er sich auch an andere Frauen in vielen Ländern erinnern. Dies waren für beide Seiten angenehme Zwischenspiele gewesen, die weder dem einen noch dem anderen Schaden zugefügt hatten. Bianca, die aus einem Steinbrunnen in Venedig Wasser geschöpft hatte - Arianna, die griechische Bootsfahrerin - Mariam, die Sarazenenwitwe, die in Antiochia Gewürze und Obst verkauft und der er für eine Weile den verstorbenen Gatten ersetzt hatte... Es waren flüchtige
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