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Spiel des Lebens 1

Spiel des Lebens 1

Titel: Spiel des Lebens 1
Autoren: Etzold Veit
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Ferne schweifen ließ, dann den Vorhang zuzog und das Fenster schloss.
    Sie war verschwunden. Wie ein Geist. Oder wie ein Engel. Er blieb einen Moment dort unten stehen, an der Mauer, während vereinzelt Autos und Lastwagen mit gelblichen Scheinwerfern die nächtliche Straße entlangfuhren, und ein kühler Wind von der Themse her über sein Haar strich.
    Er würde sie wiedersehen.
    Sehr bald.
    Er würde sie immer wiederfinden.
    Und irgendwann würde er sie töten.

3
    Mind the gap!
    Die monotone Aufforderung, auf die Kante zwischen Schienen und Bahnsteig zu achten, hatte wohl jeder in London, der die älteste und größte U-Bahn der Welt benutzte, schon gehört, und auch Emily, Julia und Ryan empfing diese blecherne Meldung, als sie die riesige U-Bahn-Station Westminster betraten. Sie waren vom Wohnheim aus über die Westminster Bridge gelaufen und hatten zu ihrer Rechten das London Eye, das gigantische Riesenrad gesehen, das bei seinem Aufstellen im Jahr 1999 beinahe in die Themse gefallen wäre. Grauweiße Wolken waren draußen über den Himmel gezogen wie zerknüllte Bettlaken, und die ersten Schirmverkäufer hatten schon am Ausgang der Westminster-Station Quartier bezogen und hofften nun auf die ersten Regentropfen.
    Mind the gap.
    Donnerstagmorgen, acht Uhr. Männer und Frauen in Business-Kostümen, Arbeiter, Studenten, Freiberufler und viele, die man keiner Kategorie zuordnen konnte, strömten in unendlichen Scharen in die Station und aus der Station hinaus. Gigantische Rolltreppen schraubten sich bis zu vierzig Meter in die technisierte Unterwelt von London hinunter.
    »Ist die Circle Line immer noch gesperrt?«, fragte Emily seufzend.
    Ryan nickte. »Irgendwie sind die Schienen da wohl im Arsch, ich frag mich, wann die endlich mal damit fertig sind.« Er schaute sich um. »Aber wir können auch die District Line nehmen und dann Temple raus, zwei Stufen nach oben, und dann sind wir schon fast da.«
    »Kennst dich ja gut aus in London«, bemerkte Julia, die heute eine Manchester-United-Schirmmütze trug. »Jedenfalls für einen Iren.«
    Ryan schüttelte in scheinbarer Pikiertheit den Kopf und zog Julia die Schirmmütze über die Stirn. »Die Mütze nimmst du ja wohl gleich ab?«, fragte er. »Am King’s wird die Elite des Landes ausgebildet, Fußball-Prolls sind da nicht erwünscht.«
    Julia streckte ihm die Zunge heraus.
    Mind the gap.
    In Emilys Kopf hallten ihre eigenen Gedanken fast ebenso blechern wider wie der plärrende Duktus der gebetsmühlenhaft wiederholten Lautsprecherdurchsage. Viel geschlafen hatte sie nicht, und wenn sich in der ersten Nacht in einer neuen Wohnung tatsächlich das erfüllen würde, von dem man träumt, dann hatte sie mit beängstigender Treffsicherheit in dieser Nacht genau das Falsche geträumt.
    Was war da noch gewesen? Die Sterne? Die Augen? Das Fenster? Ein Mund?
    Es gab für Emily keinen einsameren Moment als irgendwann im tiefsten Dunkel der Nacht zwischen drei und vier Uhr morgens wach zu liegen. Aber hier in dem Gewühl der U-Bahn sollte die Einsamkeit der Nacht doch in weite Ferne gerückt sein, und so schob sie die düsteren Gedanken beiseite. Sie war unter Freunden, und heute – endlich! – fing ihr neues Leben an. Und das leichte Brummen in ihrem Schädel und das Brennen in den Augen, die beide an den Schlafmangel der letzten Nacht erinnerten, würden sie ja wohl kaum daran hindern, jeden Moment davon zu genießen.
    Die District Line hielt mit kreischenden Rädern vor ihnen, und alle drei stiegen ein und ließen sich auf die Sitze plumpsen.
    Julia zog einen Plan aus ihrem Rucksack. »Also«, sagte sie, »um neun Uhr geht es los mit der Campus-Führung. Dann noch eine Ansprache des Dekans, danach stellt sich die Chaplancy vor … «
    »Die was?«, fragte Ryan.
    Emily hörte den beiden mit einem Ohr zu, mit dem anderen Ohr zwei Jungen, die sich neben ihr unterhielten.
    »Die haben im King’s College sogar eine eigene Kirche«, sagte Julia.
    »Die haben eine eigene Kirche?« Ryan hob die Augenbrauen.
    Julia nickte. »Hier steht, dass das erste College der University of London im Jahre 1826 das University College London war. Es sollte einen liberalen Gegenpol zur Dominanz von Oxford und Cambridge bilden.«
    »Und was hat das mit der Kirche zu tun?«
    »Na ja, als konservativen Gegenpol hat dann der König von England mit ein paar anderen Würdenträgern 1829 das King’s College gegründet. Und da die anglikanische Kirche ihre Finger im Spiel hatte, gibt es auch eine
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