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Spiel des Lebens 1

Spiel des Lebens 1

Titel: Spiel des Lebens 1
Autoren: Etzold Veit
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erwidert. »Mich interessiert eigentlich alles.« Was irgendwie lahm klang. Aber es stimmte. Und war auf jeden Fall die bessere Antwort, als wenn sie die Wahrheit gesagt hätte. Dass sie alles studiert hätte, einfach nur, um endlich von zu Hause wegzukommen.
    Scheinwerfer der Autos, die draußen auf der Straße fuhren, ließen Schatten an der Wand ihres Zimmers tanzen.
    »Denk dran«, hatte ihre Mum gestern Abend gesagt, »das, wovon du in der ersten Nacht träumst, geht in Erfüllung.«
    Doch von Träumen konnte bisher nicht die Rede sein. Denn anstatt zu schlafen und Kraft zu sammeln für den morgigen Tag, der lang werden würde, wälzte sie sich von einer Seite auf die andere.
    Es war keine Seltenheit, dass Emily nicht einschlafen konnte. Denn im Schlaf suchten sie nur zu oft diese Bilder heim, und sie waren nicht immer erfreulich, obwohl sie sich meistens gar nicht daran erinnern konnte, was sie genau gesehen hatte. Sie hatte sich eine Zeit lang angewöhnt, das, wovon sie geträumt hatte, aufzuschreiben, doch irgendwann hatte sie wieder damit aufgehört. Vielleicht war es besser, wach zu bleiben, dann würden die Bilder auch nicht kommen.
    Ihr Blick glitt über den Schreibtisch in ihrem Studentenzimmer, die Fotos auf dem Regal, den Laptop nebst Tasche auf dem Sessel am Fenster. Auf dem Schreibtisch die Stundenpläne, die Bücher und Mappen für die nächsten Monate. Plötzlich flackerten andere Bilder vor ihrem inneren Auge auf.
    Sterne erschienen, ein Himmel aus Sternen, die unnatürlich groß und leuchtend auf sie herabblickten. Kamen diese Sterne näher? Sie wusste es nicht, sie hatte nur den Eindruck, dass die Sterne ihr drohten und sich zu ihr nach unten beugten. Mit einem Mal verschmolzen all die Sterne zu zwei großen Sternen, die plötzlich direkt vor ihr waren, sie anblickten. Dann war da ein Mund, der Worte formte. »Wie groß du geworden bist«, sagte der Mund.
    Emily fuhr hoch, merkte, wie ihr das rotblonde Haar an der schweißnassen Stirn klebte. Sie atmete rasselnd und schaltete das Licht an.
    Das Zimmer war leer.
    Natürlich war es leer. Sie hatte geträumt. Das waren nur die Bilder – und sie hatte sie einmal mehr nicht aufhalten können.
    Ihr Blick wanderte durch den Raum und blieb am Fenster hängen. Es stand offen, die Gardinen wehten im Nachtwind ins Zimmer hinein. Sie musste unweigerlich ans Schultheater denken, wo sie damals eine Gespenstergeschichte aufgeführt hatten. Doch damals hatte sie gelacht. Jetzt nicht. Hatte sie das Fenster vorhin aufgemacht? Sie hatte es doch nur gekippt, oder nicht?
    Ach, Unsinn! Sie schüttelte den Kopf, um sich selbst zu beruhigen. Das wurde ja immer besser. Kaum war sie von zu Hause weg, schon sah sie Gespenster. Fehlte nur noch, dass sie mit fliegenden Fahnen heim zu Mummy lief!
    Entschlossen stand sie auf und schloss das Fenster.
    Dann ging sie hinüber zum Spiegel, der über dem Waschbecken in dem kleinen Studentenzimmer hing. Sah ihre blaugrünen Augen, die schon damals, als sie ein Kind war, die Leute in ihren Bann ziehen konnten, sah die rotblonden Haare, die ihr Gesicht umrahmten, sah die vollen Lippen, die sie manchmal zusammenkniff, wie jetzt in diesem Moment, was ihr einen Ausdruck unnachgiebiger Bestimmtheit gab. Sie sah den hellen, leicht keltischen Teint, der ihr jetzt, wo der Schrecken die Farbe aus ihrem Gesicht gezogen hatte und das bläuliche Licht des Mondes und der Straßenbeleuchtung dem Zimmer einen kalten Farbstich gab, viel heller und gespenstischer als sonst erschien.
    So stand sie lange da.
    Irgendwann erwachte sie aus ihrer Erstarrung, schaltete das Licht aus, legte sich zurück ins Bett und fiel schließlich in einen unruhigen Schlaf.

2
    Das Fenster war im zweiten Stock gewesen, also nicht allzu hoch. Er konnte sich ganz einfach vom Dach des Fitnessstudios, das zum Wohnheim dazugehörte, an der Fensterbank nach oben ziehen. Er hatte sie wieder gesehen, so wie damals. Wie groß sie geworden war! Und wie schön! Er hatte ihr Haar gestreichelt und ihren Namen gesagt. Es tat nicht mehr so weh wie früher, wenn er ihren Namen aussprach, und er konnte sie jetzt auch anblicken, ohne dass die Erinnerungen von damals wie Glassplitter in seine Seele stachen.
    Er schaute nach oben zum Fenster, drückte sich an die Wand, damit er von oben nicht gesehen werden konnte. Einzig der Stein in seinem Siegelring blitzte kurz im Mondlicht auf.
    Dann sah er sie, sah, wie sie aus dem Fenster guckte, ihren Blick nach rechts und links und irgendwo in die
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