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Spiel des Lebens 1

Spiel des Lebens 1

Titel: Spiel des Lebens 1
Autoren: Etzold Veit
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Wagen kroch näher. Dreißig Meter. Zwanzig Meter. Zehn Meter.
    Dann ging es ganz schnell.
    Zwei der Türen öffneten sich, die Beifahrertür und die Tür rechts hinten schnappten auf wie zwei hungrige Mäuler. Ein Mann wurde von dem Wagen ausgespuckt, sprang hinaus, die Augen hinter einer dunklen Brille. An den Füßen leichte Schuhe aus Segeltuch, deren Schritte man kaum hören konnte.
    Er klemmte den Jungen unter den Arm und warf ihn in den hinteren Teil des Wagens, wo zwei Hände sich schon nach ihm ausstreckten und nach der Tür griffen. Im selben Moment wurde auch der Mann von dem schwarzen Auto wieder verschluckt. Beide Türen fielen mit einem leisen, fauchenden Knall zu, während der Wagen, der eben noch mit bedrohlicher Langsamkeit durch das Viertel geglitten war, beschleunigte und zügig aus dem Viertel herausfuhr. Vorbei an den gusseisernen Zäunen, den rosenbekränzten Hecken, den alten Herrenhäusern und der Kuppel der elterlichen Villa.
    Der Junge schrie, er schrie so laut er konnte, doch die, die ihn hören konnten, lachten nur. Sie wussten, dass dort drüben in der Villa jede Spur seines Lebens bereits ausgelöscht worden war. Ein Leben, das ihm niemals gehört hatte.
    * * *
    Fünf Stunden später war es Jonathan gelungen, zu entkommen. Vielmehr hatte man ihn gehen lassen. Er konnte ohnehin nichts mehr machen. Er stand vor dem elterlichen Haus mit der hohen Kuppel. Der Schlüssel, der immer gepasst hatte, passte nicht mehr. Tränen waren in seinen Augen, und sein Hals war trocken, und sein Kopf schmerzte. Mit klopfendem Herzen ging er in den Garten. Er kannte die kleine Tür an der Hintertreppe. Wenn er Glück hatte, konnte er dort die Scheibe einschlagen und ins Innere gelangen.
    Irgendetwas stimmte hier nicht. Leise schlich er sich durch das Empfangszimmer und huschte die Treppe nach oben, zu seinem Zimmer. Luftballons und Luftschlangen waren an den Wänden.
    Würden sie jetzt doch seinen Geburtstag feiern? War die Entführung eine Überraschung gewesen? Sein Herz klopfte lauter, gleichzeitig voll Spannung und Vorfreude. Vielleicht würden sie ihn doch in seinem Zimmer erwarten, ihn hochleben lassen und auf ihn anstoßen. Er stand vor seinem Zimmer, ging hinein – und erstarrte.
    Das war nicht mehr sein Zimmer.
    Die Modellschiffe waren verschwunden, die Bücher über römische und englische Geschichte, der Chemiekasten, der Computer. Stattdessen sah er Puppen, ein plüschiges rosa Bett, einen großen goldenen Spiegel und überall Blumen. Auf dem Boden, inmitten von Spielsachen, Luftschlangen und Luftballons, saß ein kleines Mädchen, drehte sich um und sah ihn mit großen Augen an.
    »Wer ist das?«, fragte das Mädchen.
    Das war eigentlich die Frage, die Jonathan gerade stellen wollte. Er drehte sich um, sah seine Eltern hinter sich, doch bevor er etwas sagen konnte, hatten seine Eltern geantwortet.
    »Das wird jemand aus der Nachbarschaft sein«, sagte sein Vater und stellte sich neben das kleine Mädchen, als wollte er sie vor Jonathan beschützen. »Jack und Mary, ich meine, seine Eltern, machen sich sicher schon Sorgen. Wir werden ihn nach Hause bringen.«
    Jack und Mary.
    Jonathan sah in die blaugrünen Augen des Mädchens, die Augen seines Vaters und seiner Mutter, die beide so taten, als hätten sie ihn noch nie gesehen, als hätten all die gemeinsamen Abende, Ausflüge und Empfänge nie stattgefunden, während sein Herz so schnell schlug, dass es wehtat und Tränen seine Augen füllten. Das etwa vierjährige Mädchen, das zwischen den Luftballons saß, blickte ihn gleichzeitig neugierig und misstrauisch an. Und er blickte zurück.
    »Und du?«, fragte Jonathan. »Wer bist du überhaupt?« Er starrte das Mädchen an.
    Das Mädchen wandte ihm den Kopf zu und schaute Jonathan aus großen Augen an.
    »Ich?«, fragte sie, und ihre blaugrünen Augen wurden noch größer. »Ich bin Emily. Und heute ist mein Geburtstag.«

Über den Autor

    Veit Etzold, geboren 1973 in Bremen, studierte Englische Literatur, Kunstgeschichte, Medienwissenschaften und General Management, unter anderem auch am King’s College in London. 2005 promovierte er zum Kinofilm »Matrix«. Er arbeitete für Medienunternehmen, Banken, in der Unternehmensberatung und an Universitäten in Berlin, Frankfurt, London, New York und Barcelona. Veit Etzold lebt in Berlin. »Spiel des Lebens« ist sein erster Thriller für Jugendliche.

© 2012 INK
    verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH,
    Gertrudenstraße 30–36, 50667
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