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Spiel des Lebens 1

Spiel des Lebens 1

Titel: Spiel des Lebens 1
Autoren: Etzold Veit
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Raum, ständig nach links und rechts blickend.
    Sie sah nichts, nur das Licht und die Stadt, die sich durch die glaslosen Fensteröffnungen kilometerweit unter ihr in der Nacht erstreckte.
    Kein Jonathan. Kein Hinweis.
    Und dann war plötzlich vor ihr die Wand.
    Sie war hoch, mindestens vier Meter, angestrahlt von grellem Neonlicht, das von einem rumpelnden Generator, der in einiger Entfernung stand, angetrieben wurde. Planen und Decken lagen vor der Wand auf dem Boden. Und sie sah das, was an der Wand stand, in roter Farbe geschrieben, die wie Blut über die gesamte, angestrahlte Fläche verteilt war.
    Sie las die Worte: Alles, was nach oben geht, geht wieder nach unten .
    Die nächsten Buchstaben wurden kleiner, sodass Emily näher herantreten musste. Jetzt konnte sie die Schrift lesen.
    … denn so wie Satan nach Eden hinaufgestiegen ist, so wurde er als Schlange von Gott wieder in die Hölle verbannt …
    Emily musste noch näher herantreten.
    … ganz so tief wirst du nicht fallen, Emily, aber fast.
    Kein Rätsel mehr, keine Spielchen. In Whitechapel, nahe der Station Aldgate East findest du eine Bar …
    Sie trat noch näher heran.
    … eine Bar mit dem Namen Scythe …
    Scythe , dachte Emily. Das hieß so viel wie Sense .
    … frag nach …
    Sie ging noch näher. Das letzte Wort war kaum zu entziffern.
    Als sie den letzten Schritt an die Wand heranging, merkte sie, dass der Boden unter den Planen und Decken nicht aus Stahlbeton war, merkte, dass unter ihr auf einmal gar kein Boden war.
    Sie versuchte, sich festzuhalten.
    Griff ins Leere.
    Sie hatte das letzte Wort gelesen.
    Jonathan.
    Und fiel.

52
    Sie war gefallen.
    Das kommt davon, wenn man immer alles genau wissen will.
    Der Baum der Erkenntnis ist nicht der Baum des Lebens.
    Er schaute auf das iPad, sah das 33. Stockwerk des Shard Buildings.
    War es vorbei? Es ist vorbei, wenn es vorbei ist.
    Und wann das war, das bestimmte allein er.
    »Heute«, sagte er, »machen wir Emilys Eltern ein Geschenk. Wir bringen Sie dazu, ihre Tochter zu verstehen.«
    Er schaltete das iPad aus, während er zu sich selbst sprach.
    »Denn man versteht den ganzen Menschen erst dann, wenn er tot ist.«
    Es war etwas Feierliches in seiner Stimme.

53
    E mily konnte nicht einmal mehr schreien, als sie von einer Sekunde auf die andere in die schwarze Unendlichkeit fiel.
    Fiel.
    Fiel.
    Fiel.
    Es war, als würde der freie Fall alle Energie aus ihrem Körper herauspressen. Selbst die Energie, um zu schreien.
    Doch sie schlug nicht mit brutaler Kraft irgendwo hundert Meter tiefer auf den Steinen auf, wo sie als zerschmetterter, nicht zu identifizierender Haufen liegen bleiben würde, und die Gerichtsmediziner den Zahnarzt anrufen mussten, um anhand des Zahnstatus herauszufinden, wer da überhaupt lag.
    Irgendetwas bremste ihren Fall, vergrub sie in sich und warf sie dann mit einem leichten Schwung wieder nach oben.
    Sie blickte sich um.
    Sie sah etwa sechs Meter nach oben.
    Sah die Öffnung in der Decke, durch die sie gefallen war.
    Sah das diffuse Licht von oben, das von dem ratternden Generator begleitet, die Wand mit der seltsamen Nachricht erhellt hatte.
    Unter ihr war so etwas wie ein Luftkissen, aufblasbar, so wie es die Feuerwehr verwendete.
    Ihr Herz schlug jetzt erst recht zum Zerbersten, und Tränen flossen aus ihren Augen. Schock und Dankbarkeit – beides tobte in ihrem Inneren so stark, dass sie sich für einen Moment nicht aufrappeln konnte.
    Ja, sie war ihm dankbar, auch wenn derjenige, der das Luftkissen für sie bereitgelegt hatte, erst einmal dafür gesorgt hatte, dass sie fiel.
    Sie blickte sich um und sprang hinunter. Einige der Decken und Planen waren mit ihr nach unten auf das Luftkissen gefallen.
    Sie versuchte sich an den Satz zu erinnern.
    Whitechapel. Scythe .
    Sie hörte schon wieder den Ton ihres Handys.
    Wieder eine SMS .
    IN 15 MINUTEN IST DEIN GEBURTSTAG, stand dort. DU SOLLTEST BESSER PÜNKTLICH SEIN.
    »Wie du willst«, sagte sie und spürte keine Emotion mehr. »Ich bin bereit.«
    War sie das? Oder war ihr inzwischen alles egal? Wollte sie nur, dass das hier ein Ende hatte? Vielleicht war sie in zwanzig Minuten erlöst, weil sie dann tot war. Vielleicht war sie erlöst, weil sie Jonathan besiegte. Auf eines von beiden würde es hinauslaufen. Und sie wusste genau, dass es außer diesen beiden Möglichkeiten keine andere geben würde.
    Sie fuhr mit dem Aufzug nach unten und rannte hinüber zur U-Bahn. Der Mini war nicht mehr zu gebrauchen, die Front
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