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Spiel des Lebens 1

Spiel des Lebens 1

Titel: Spiel des Lebens 1
Autoren: Etzold Veit
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zu tun.
    Es war die schwerste Entscheidung in ihrem Leben, aber sie wusste, es war die einzig richtige.
    Wie würde es sein? Würde alles noch einmal an ihr vorbeifliegen? Die Story ihres Lebens, die das Leben nicht wie einen Roman, sondern wie eine Sammlung von Schnappschüssen zeigte? Die Kindheit, die Schule, die Freunde, das College, Ryan? All die schönen Dinge, die sie erlebt hatte, während der Boden sich von ihren Füßen löste, sie auf das Geschehen herabblicken würde, als wäre sie gar nicht mehr Teil der Erde? Und dann würde das Licht kommen, das riesige Licht, auf das sie zufliegen und mit dem sie eins werden würde.
    »Jonathan«, sagte sie, »es gibt eine Sache, die ich dir nicht glaube.«
    Seine Augen weiteten sich, ein wenig mehr, als es sein Pokerface ihm normalerweise gestattet hätte.
    »Du sagst, du willst mich töten«, fuhr Emily fort.
    Ihr Blick flog kurz zu ihrer Mum, die sie mit vor Angst geweiteten Augen anstarrte, so als wollte sie Emily bitten, endlich aufzuhören, sich nicht noch weiter in Gefahr zu bringen.
    Jonathan nickte.
    »Nur«, sprach Emily weiter und ging langsam Richtung Rampe, die zu den Schienen der U-Bahn führte, »wenn du mich tötest, dann hast du niemanden mehr, den du terrorisieren kannst, niemanden mehr, dem du zeigen kannst, was für ein toller Hecht du bist, niemanden mehr, dem du irgendwelche Räume mit irgendwelchen Leichen und irgendwelchen Fallen präsentieren kannst.«
    Sie ging noch ein Stück auf die Schienen zu, während Jonathan sie mit zusammengekniffenem Mund und aufgerissenen Augen anblickte.
    Das Grollen der U-Bahn kam immer näher. Das blaue Licht des Tunnels brach sich in Jonathans Brille.
    »Jonathan, du wirst mich niemals töten«, sagte Emily, »denn nur wenn ich lebe, kannst du mich quälen. Darum werde ich das tun, was dir am meisten schadet.«
    Jonathan sagte einige Sekunden gar nichts, während das Grollen der U-Bahn immer lauter wurde.
    Dann erschien auf seinem Gesicht wieder dieses Lächeln, diesmal jedoch spürbarer unsicherer. »Und … was ist das?«, fragte er.
    »Ich werde mich selbst töten«, sagte Emily.
    Und dann sprang sie über die Rampe auf die Schienen.

55
    S ie hatte die Entscheidung getroffen.
    Und sie würde es tun.
    Sie rannte die dunklen Schienen hinunter. Hinter ihr hörte sie die Stimme von Jonathan. Sie klang anders, irgendwie verzerrt, irgendwie aufgebracht und gar nicht so ruhig, wie sie sonst immer klang.
    Und sie hörte noch etwas. Etwas Lauteres, Gefährlicheres. Sie hörte die Bahn näher kommen, hörte die Schritte hinter sich.
    »Bleib stehen, ich kriege dich! Bleib stehen!«
    Jetzt spürte sie, wie die Schienen bebten, während sie durch die Dunkelheit nach vorn stürzte, weiter, weiter, dem rasenden Grollen entgegen, das mit absoluter Sicherheit den Tod bringen würde. Den schnellen Tod.
    Der Lärm war ohrenbetäubend, eine Mischung aus Donner und Kreischen schob sich vor der Bahn den dunklen Tunnel hinunter und wurde von den Wänden zurückgeworfen.
    Sie hörte Schritte hinter sich und die Rufe. Hörte ein infernalisches Schreien voller Angst, das nur ihre Mutter sein konnte und das selbst die Geräusche der U-Bahn übertönte.
    Die Erde bebte, als würde sich ein Tsunami nähern, und das blasse Leuchten der Frontlampen der U-Bahn, ein Vorbote ihres sicheren Untergangs, tastete sich mit rasender Geschwindigkeit durch den Schacht.
    Emily biss die Zähne zusammen. Ihre Augen tränten, ihr Blick war verschleiert, aber immer noch blieb sie nicht stehen.
    Sie rannte. Sie rannte ihrem Untergang entgegen. Denn dieser Untergang war ihre letzte Chance, die einzige Chance, die sie überhaupt noch hatte.
    Und dann blickte sie sich um, ein letztes Mal blickte sie sich um, und im Bruchteil einer Sekunde begriff sie, dass sie gewonnen hatte. Im Spiel des Lebens war sie die Siegerin. Jetzt war sie der Meister. Sie war es, die die Puppen tanzen ließ. Jonathan tat genau das, was sie von ihm erwartet hatte.
    Er folgte ihr, weil er nicht von ihr lassen konnte. Weil sie recht damit gehabt hatte, dass ihm jeglicher Sinn genommen werden würde, wenn sie nicht mehr da war.
    Sein Gesicht war eine Maske des Schmerzes und der Verzweiflung und das, was er brüllte, konnte sie nicht mehr hören, weil der Lärm der Bahn nun alles erfüllte, selbst ihr tiefstes Inneres. Aber sie konnte es sehen, es von seinen Lippen ablesen.
    Komm zurück! Komm zu mir zurück!
    Und da erst hielt sie im Lauf inne und sah Jonathan ein letztes Mal in die
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