Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sonea - Die Hueterin

Sonea - Die Hueterin

Titel: Sonea - Die Hueterin
Autoren: Trudi Canavan
Vom Netzwerk:
1 Das Alte und das Neue
    Das erfolgreichste und meistzitierte Stück des Dichters Rewin, der größte Redefluss, der aus der Neuen Stadt hervorgegangen war, hieß
Stadtlied.
Es fing ein, was man des Nachts in Imardin hörte, wenn man sich die Zeit nahm, innezuhalten und zu lauschen: eine nie endende, gedämpfte und ferne Mischung von Geräuschen. Stimmen. Gesang. Ein Lachen. Ein Stöhnen. Ein Ächzen. Ein Schrei.
    In der Dunkelheit von Imardins Neuem Südquartier erinnerte sich ein Mann des Gedichts. Er hielt inne, um zu lauschen, aber statt das Lied der Stadt in sich aufzunehmen, konzentrierte er sich auf ein einziges misstönendes Echo. Ein Geräusch, das nicht hierhergehörte. Ein Geräusch, das sich nicht wiederholte. Er schnaubte leise und setzte seinen Weg fort.
    Einige Schritte später trat vor ihm eine Gestalt aus der Dunkelheit. Die Gestalt war männlich und ragte drohend über ihm auf. Licht fing sich auf der Schneide einer Klinge.
    »Dein Geld«, sagte eine grobe Stimme, hart vor Entschlossenheit.
    Der Mann erwiderte nichts und verharrte reglos. Vielleicht war er vor Entsetzen erstarrt. Vielleicht war er tief in Gedanken versunken.
    Als er sich dann doch bewegte, geschah es mit unheimlicher Geschwindigkeit. Ein Klicken, ein Rascheln des Ärmels, und der Räuber keuchte auf und sank auf die Knie. Ein Messer fiel klappernd zu Boden. Der Mann klopfte ihm auf die Schulter.
    »Tut mir leid. Falsche Nacht, falsches Opfer, und ich habe keine Zeit zu erklären, warum.«
    Als der Räuber mit dem Gesicht nach unten auf das Pflaster fiel, stieg der Mann über ihn hinweg und ging weiter. Dann blieb er stehen und blickte über die Schulter, auf die andere Seite der Straße.
    »He! Gol. Du sollst doch angeblich mein Leibwächter sein.«
    Aus der Dunkelheit tauchte eine weitere große Gestalt auf und eilte an die Seite des Mannes.
    »Ich schätze, du brauchst eigentlich keinen, Cery. Ich werde langsam auf meine alten Tage. Ich sollte
dich
dafür bezahlen,
mich
zu beschützen.«
    Cery runzelte die Stirn. »Deine Augen und Ohren sind immer noch scharf, nicht wahr?«
    Gol zuckte zusammen. »So scharf wie deine«, erwiderte er mürrisch.
    »Nur allzu wahr.« Cery seufzte. »Ich sollte in den Ruhestand gehen. Aber Diebe bekommen keine Gelegenheit, das zu tun.«
    »Außer indem sie aufhören, Diebe zu sein.« »Außer indem sie zu Leichen werden«, korrigierte ihn Cery.
    »Aber du bist kein gewöhnlicher Dieb. Ich schätze, für dich gelten andere Regeln. Du hast nicht auf die übliche Art angefangen, warum solltest du also auf die übliche Art aufhören?«
    »Ich wünschte, alle anderen wären der gleichen Meinung.«
    »Das wünschte ich auch. Die Stadt wäre ein besserer Ort.«
    »Wenn alle
deiner
Meinung wären? Ha!« »Für mich wäre es besser.«
    Cery lachte leise und setzte seinen Weg fort. Gol folgte in kurzem Abstand.
Er verbirgt seine Furcht gut,
dachte Cery.
Hat es immer getan. Aber er muss denken, dass wir beide diese Nacht vielleicht nicht überstehen. Zu viele von den anderen sind bereits gestorben.
    Mehr als die Hälfte der Diebe - der Anführer der kriminellen Gruppen in Imardins Unterwelt - war während der letzten Jahre umgekommen. Jeder auf eine andere Weise und die meisten durch unnatürliche Ursachen. Erstochen, vergiftet, von einem hohen Gebäude gestoßen, in einem Feuer verbrannt, ertrunken oder in einem eingestürzten Tunnel zerquetscht. Einige sagten, eine einzelne Person sei dafür verantwortlich, ein Freischärler, den man den Jäger der Diebe nannte. Andere glaubten, es seien die Diebe selbst, die alte Zwistigkeiten regelten.
    Gol sagte, die Wetter setzten ihr Geld nicht darauf,
wer
als Nächster das Zeitliche segnen würde, sondern
wie.
    Natürlich hatten jüngere Diebe den Platz der alten eingenommen, manchmal friedlich, manchmal nach einem schnellen, blutigen Kampf. Das war zu erwarten. Aber selbst diese kühnen Neulinge waren nicht immun gegen den Jäger. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie das nächste Opfer wurden, war genauso groß wie bei einem älteren Dieb.
    Es gab keine offenkundigen Verbindungen zwischen den Morden. Obwohl unter den Dieben jede Menge Streitigkeiten herrschten, konnte keine davon der Grund für so viele Morde sein. Und während Anschläge auf das Leben von Dieben nicht gar so ungewöhnlich waren - das war etwas, womit jeder Dieb rechnen musste -, war der Erfolg dieser Anschläge sehr wohl ungewöhnlich. Und dass der Mörder oder die Mörder weder damit geprahlt hatten noch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher