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Und immer wieder Liebe Roman

Titel: Und immer wieder Liebe Roman
Autoren: Paola Calvetti
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Mittlerweile wache ich früh auf.
    Zuvor aber, unmittelbar zuvor, widme ich Alice und der Buchhandlung die Phase der Glückseligkeit, die sich zwischen Schlaf und Wachen ausspannt. Sie beginnt gegen sechs, spätestens aber um Viertel nach sechs, wenn das Kräutergebräu, das ich nun statt der traumtötenden Pillen zu mir nehme, seine Wirkung getan hat und ich langsam zu mir komme. Meine Glieder sind dann noch schwer vom Schlaf und ich schaue mich – immer ein wenig überrascht – im Zimmer um. Gerade in dieser hohlen Stille meines Schlafzimmers entstehen die besten Ideen.
    Und das Herz beruhigt sich.
    Mein vorzeitiges Erwachen hat einen unangenehmen Nebeneffekt: Unmittelbar nach dem Frühstück verfalle ich in eine erbarmungswürdige Lethargie, und meine Lider gleiten wie Rollläden herab. Wenn ich könnte, würde ich auf dem Kassentresen der Buchhandlung die Arme verschränken, den Kopf darauf legen und ein Nickerchen machen, sei es auch noch so kurz. Oder ich würde mich wie Gabriellas Gordon Setter Mondo auf dem Kelim zu meinen Füßen ausstrecken, die Nase zwischen den Pfoten, mit seitlich abgewinkeltem Schwanz.
    Weil das selbstverständlich nicht geht, beherrsche ich mich aber Morgen für Morgen.
    Um das Gefühl der Taubheit abzuschütteln, begebe ich mich nach oben und ziehe mich unter dem Vorwand, die Thermoskanne auffüllen zu wollen, in die Kaffee-Ecke zurück. Sie ist nichts
Besonderes, meine Kaffee-Ecke – sie ist kein echtes Café, sondern besteht nur aus zwei Sesseln und einigen Bistrotischen mit passenden Stühlen vom Flohmarkt an der Porte de Clignancourt, von wo ich sie wie die Reliquien eines Heiligen zu einem vollkommen überteuerten Preis habe anliefern lassen.
    Punkt zehn öffnet Lust&Liebe die Türen für die Welt.
    Die Öffnungszeiten sind nicht zufällig gewählt, denn das dringende Bedürfnis, in einer Liebesgeschichte zu blättern, macht sich selten direkt nach dem Frühstück bemerkbar oder wenn man sich voller Elan vor dem Bürocomputer niederlassen will. Für die schlaflosen Leser wiederum ist mein gediegener salle de the auch nicht der richtige Ort. Komplizierte Geisteszustände wie die Euphorie des Verliebtseins, der Schmerz über ein unerklärliches Ende der Beziehung, das Bedauern über eine verpasste Gelegenheit, die Verwirrung einer ersten Nacht oder die Entscheidung zu einer schnellen Affäre lassen sich nicht bei einem Milchkaffee klären, trotz der beruhigenden Raffinesse der Porzellantassen und Gläser, die in Reih und Glied dastehen wie ein Bataillon dicklicher Soldaten. Pappbecher à la coffee break sind hier nicht zugelassen, ebenso wenig Croissants, Rosinen – Focaccine oder Kuchen, wie er in viktorianischen Romanen gereicht wird. Für die wahren Genüsse habe ich keine Lizenz, und ich habe auch noch nie in meinem Leben ein Soufflé zubereitet.
    In meiner freien Stunde vor der Öffnung gehe ich ganz im Staubwischen auf. Eine weiche, sanfte Energie, die kaum mehr ist als ein leichtes Kitzeln, das mich von oben bis unten durchströmt, lässt den Staubwedel über Buchrücken und Buchdeckel tanzen. Mit seinem Bambusstiel und der Wolke von Gänsefedern ist er eine Hommage an mein altes Kindermädchen. Sie hieß Maria (»wie die Callas« sagte sie immer und war stolz, einen so handfesten und würdigen Namen zu tragen), und während
sie die Esszimmermöbel polierte, sang sie Grazie dei fior und Vola colomba. Nachmittags kehrte ich von der Schule heim und traf sie in der Küche an, wo sie mit meiner Mutter in ein anregendes Gespräch vertieft war. Ich lauschte den Auswüchsen eines unglücklichen Lebens, und in meinen Kinderaugen und mit meiner überbordenden Fantasie erschien mir Maria wie ein Ausbund an Leidensfähigkeit, der allen Widrigkeiten zu trotzen vermochte.
    Wenn ich Staub wische, singe ich vor mich hin. Popsongs aus den Siebzigerjahren, wahlweise Lucio Battisti, die Beatles oder Bruce Springsteen. Auf Opernarien verzichte ich, weil sie für mein dünnes Stimmchen zu kompliziert sind. Staubwolken wirbeln durch die Luft und provozieren im Synkopenrhythmus allergische Niesanfälle. Dennoch ist diese Tätigkeit eine notwendige Gymnastik und der Staubwedel ein treuer Verbündeter. Er pflegt den Kontakt zu Titeln und Schriftstellern, bringt Buchcover in Erinnerung, schielt auf die Inhaltsangaben im Klappentext, spürt verloren geglaubte Exemplare auf, gräbt die zu Unrecht vergessenen wieder aus. Der stumme Morgenappell ist ein Willkommensgruß an die Neuheiten, eine Form
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