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Das Aschenkreuz

Das Aschenkreuz

Titel: Das Aschenkreuz
Autoren: Astrid Fritz
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    Prolog
    E in tiefgrauer Himmel hatte den frühen Abend zur Nacht gemacht. Der Mann im dunklen Umhang verbarg sich in einer Toreinfahrt. Eine kräftige Windböe fuhr ihm ins Gesicht, als das Unwetter auch schon losbrach. Wie aus Kübeln ergoss sich das Wasser aus dem schweren Gewölk, und die Menschen auf den Gassen flüchteten sich im Laufschritt in den Schutz ihrer Häuser und Werkstätten. Nur die schmächtige Gestalt vor ihm hatte offenbar keine Eile. Jetzt blieb der Bursche sogar stehen und hielt das Gesicht in den strömenden Regen.
    Die Gelegenheit war gekommen. In völliger Einsamkeit erstreckte sich vor ihm die Abtsgasse bis zu den Augustinern, und nur wenige Schritte entfernt befand sich, wie seit der Großen Pest vielerorts in der Stadt, ein mit wilden Bäumen und Buschwerk überwucherter, brachliegender Grund. Fast tat ihm der Kerl leid. So jung noch, dabei so angenehm anzusehen. Er fuhr sich mit dem Ärmel über die nasse Stirn, als wolle er diesen Gedanken wegwischen. Doch es gab kein Zurück, jetzt nicht mehr.
    Er zog sich die Kapuze tief ins Gesicht. Warum nur musste dieser Tölpel seine hübsche Nase in Dinge stecken, die ihn nichts angingen? Hatte er zunächst daran gedacht, ihm eine Abreibung zu verpassen, die er sein Lebtag nicht vergessen würde, so war er jetzt entschlossen, Ernst zu machen.
    Kein Vaterunser später hatte er ihm von hinten den Arm auf den Rücken gedreht und ihm gleichzeitig die Hand auf den Mund gepresst. Es war ein Leichtes, ihn ins Dunkel der Brache zu der halb verfallenen Scheune zu zerren. Dort aber begann der Junge sich mit der Kraft eines Löwen zu wehren. Er schaffte es, sich halbwegs freizukämpfen, da erhellte ein greller Blitz die Dunkelheit. Weit offen stand der Mund des Knaben vor Entsetzen, als er sein Gegenüber erkannte.
    Dann ging alles sehr schnell. Er bückte sich wieselflink nach einem scharfkantigen Stein und schmetterte ihn gegen den Schädel des Jungen. Dessen Schrei ging unter in dem mächtigen Donnerhall, der die Häuser der Stadt erschütterte. Noch einmal schlug er zu, vermeinte das Knacken der Schädeldecke zu spüren, dann sackte der knabenhafte Körper in seinem Arm leblos in sich zusammen.

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    Kapitel 1
    E s wurde eine unruhige Nacht. Bei jedem Donnerschlag ruckte die bettlägerige Alte vor Schreck mit dem Kopf hin und her.
    «Keine Sorge, Kandlerin.» Serafina Stadlerin streichelte der Siechen die altersfleckige Hand. «Hier kann uns nichts geschehen. Schlaft nur ruhig weiter.»
    Dabei war es Serafina selbst nicht ganz wohl in ihrer Haut. Seit dem frühen Abend tobte das erste Gewitter dieses Frühsommers nun schon über der Stadt. Die Sturmböen rüttelten an den verschlossenen Fensterläden, Blitz und Donner wollten kein Ende nehmen. Sie sagte sich, dass sie hier in der Stadt ungleich geschützter waren als in dem kleinen Dorf, in dem sie einst aufgewachsen war und so manches schlimme Unwetter erlebt hatte. Doch leider wirkte das schäbige, schmale Holzhäuschen der beiden hochbetagten Schwestern nicht gerade vertrauenerweckend. Es schien nur noch von seinen beiden Nachbarhäusern, deren Erdgeschoss aus solidem Stein gebaut war, am Umfallen gehindert. Wieder und wieder musste sie sich die Worte ihres Vaters, der ein kluger Mann gewesen war, in den Sinn rufen. Ein Blitz schlage sein Feuer, wenn er die Wahl hatte, stets in den höchsten Punkt. Und das war, wenn nicht das Dach der benachbarten adligen Trinkstube Zum Ritter, zweifellos der Münsterturm, der nur wenige Schritte vor der Haustür in den Himmel ragte.
    Die alte Frau spitzte die Lippen, zum Zeichen, dass sie Durst hatte. Seit ihrem bösen Sturz vor einem Vierteljahr konnte sie sich nicht mehr rühren und war dem Tod näher als dem Leben. Aber der Herrgott wollte sie noch nicht haben. So siechte sie in ihrer ärmlichen kleinen Kammer reglos vor sich hin, vor einiger Zeit hatte sie sogar das Sprechen aufgegeben. Tag und Nacht brauchte sie Hilfe, die in aller Regel ihre Schwester leistete, ebenfalls verwitwet, doch für ihr Alter noch erstaunlich rüstig. Jetzt aber war die gute Frau zur Niederkunft ihrer jüngsten Tochter für einige Tage ins nahe Kirchzarten gereist, und die Kandlerin war auf die Barmherzigkeit Fremder angewiesen.
    Serafina goss im schwachen Schein der Tranlampe ein wenig Wasser in den Becher und gab der Kranken in kleinen Schlucken zu trinken. Ganz allmählich legte sich das Gewitter. Zwischen den Ritzen der Fensterläden
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