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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek
Autoren: Arnold Zweig
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auf. Erinnerst du dich an den ›Fischer un syne Fru‹?« – »Ein Grimmsches Hausmärchen, das nur plattdeutsch vorliegt«, lächelte sie. »Ich lese es gern mal wieder.« – »Dort führt der Erzähler seine Fabel so, daß noch Hoffnung für das Ehepaar bliebe, welches hier die Menschen vertritt, wenn sich diese Ilsebill einmal zufrieden gäbe. Sie kann sich aber nicht zufrieden geben; immer aufs neue plagt sie den braven Butt mit größeren Wünschen. Es ist eine malaiische Geschichte, habe ich mir sagen lassen, eine Zaubergeschichte, von Seeleuten mitgebracht und darum nur niederdeutsch erzählt. Nun, in der Sache dieser vier Leute verhalte ich mich ein wenig wie jener geduldige Zauberfisch, der verwünschte Prinz, nur umgekehrt. Als Einzelperson vermag ich ja gar nichts. Aber die Vertreter einer regierenden Schicht sind gewissermaßen auswechselbar, und nimmst du statt meiner zum Beispiel Freund Lintze, Oberstleutnant Lintze vom Wehrkreis 10, so vermöchte der schon allerhand. Also – ich zögere hin. Ich finde niemand. Ich gebe unserem Staate noch eine Chance, unserem Hamburg, dem Reiche, unserer bürgerlichen Gesellschaft. Es sind Gnadengesuche für die Vier unterwegs, gleichzeitig wird Scharfrichter Denke krank und liegt in seinem Bette. Du siehst, es kann etwas geschehen. Und nun kommst du und dein Herr Footh, und ihr macht es spannend.« – »Und ich habe es so gut gemeint«, rief Annette klagend. – »Weiß ich«, nickte er zärtlich und küßte sie neben den Mund. »Du bist nur Werkzeug, dein Footh, ich, wir alle. Etwas vollzieht sich in der Welt, wir haben die Ehre, dabei mitzuspielen.« – »Es ist ja auch noch nicht gewiß, daß etwas aus der Sache wird«, tröstete sie sich. – »Nein«, bestätigte er langsam und stand auf, »es ist noch nicht gewiß. Vor ein paar Wochen las ich irgendwo, daß nicht einmal mehr die mechanische Physik an die Determination glaubt. Selbst bei den Molekülen, sagt James Jeans, liegen gewisse Entscheidungen aufden Knien der Götter. Laß also sehen, ob wir Hoffnung haben. Die Chancen stehen föftig föftig. Werden die Vier gerettet, so geht das Kreuz an uns vorbei. Herr Hitler stürzt sich in einen kleinen Krieg, und der ganze Spuk versinkt in einem Blutsumpf. Besteigen sie das Schafott, so bleibt das Dritte Reich in Kraft und Blüte und verpestet unser Volk, Europa, die Erde, ohne Aussicht auf Hoffnung. Denn von innen her zerfällt das nicht. So seh ich diesen Kram.« – »Das wäre zum Verzweifeln«, meinte sie leise. »Und ich dachte schon, im vorigen Jahre seien die Würfel gefallen. Weiser Vater.« Und jetzt küßte sie ihn, und gar nicht kindlich, wie ein erwachsener Mensch einen anderen. Im vorigen Jahre waren ihr Bräutigam Hans Wieck und ihr Vetter Manfred Koldewey in Spanien als Franco Flieger abgeschossen worden, im gleichen Bomber, von einem russischen Kampfflugzeug, nachdem sie baskische Städte in Trümmer gelegt hatten. Ohne diesen Vorfall, den die Zeitung ein tragisches Unglück hatte nennen müssen, wäre Hans P. Footh mit seiner Werbung wohl im Schatten geblieben. Vater und Tochter, beide dachten an diese jähe Kurve; dann fragte er: »Hast du Lust, mich ein wenig hinauszufahren? Um zwölf möchte ich bei Hagendörps sein. Sie spielen Brahms.«
IV
    Das vielfache Brausen des Hafens am Montag vormittag wurde jetzt gerade übertönt durch den tiefen Baß, mit dem ein Ozeandampfer sich an seinen Platz schob, aus mächtiger Kehle reichlich Laut gebend. »Yaukuni Maru«, sagte Herr Footh, indem er seinem Gegenüber, Kapitän Carstanjen, über den Schreibtisch weg die Hand auf die Schulter legte, ihn wieder in seinen Stuhl drückend. Kapitän Carstanjen, breit und kahlköpfig und zu Schmeicheleien geneigt, wie viele Seeleute, äußerte etwas Verbindliches für Herrn Footh, daß er alles, was sich in der Nähe seiner Räume im Hafen rege, offenbar schon auswendig kenne. »Wär’ ja auch ein Skandal«, lachte Footh, »heute, wo alle Straßenjungen der ganzen Welt einen Junkers von einem Dornier am Klang unterscheiden können. Diese Japaner sind gute Schiffe,habe ich mir sagen lassen.« – Der Kapitän bestätigte: »Sehr gute. Moderne Motorschiffe, die durch die bewegte See fahren wie Bügeleisen über ein Plättbrett.« Mit ihren schwarzen Rümpfen und gelben Schornsteinen traf man die Marus der Nippon-Yusen-Kaisha gelegentlich in Neapel oder Marseille; in Hamburg war er noch mit keinem zusammengetroffen. Dabei horchte er immer unruhig nach draußen,
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