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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek
Autoren: Arnold Zweig
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Vater hatte Sorgen. Die Krankheit dieses Herrn Denke aus Magdeburg, zuerst nur eine leichte Betriebsstörung, machte ihm seit ein paar Tagen schwer zu schaffen. Annette, seine Älteste, seit dem Tod ihrer Mutter daran gewöhnt, mit ihm zu tragen, was ihn bekümmerte und freute, wand sich jetzt auf ihrem Liegestuhl vor Hilflosigkeit. Ihre Blicke, wie Rat suchend, schweiften in den blauen Sommerhimmel; dann griff sie zu einer Zigarette. Wer konnte hier helfen?
    Herr Footh kam zurück, einen Brief in der Hand, der ihm durch den Speiseaufzug hinaufgesandt worden war. »Kennst du die Schrift?« fragte er Annette, bevor er den Umschlag aufriß. »Das ist Käte Neumeiers Schrift. Sie hat sich doch in Wandsbek niedergelassen, nicht? Was will sie von dir?« Herr Footh hatte inzwischen das beschriebene Blatt durchstudiert, zusammengelegt und in die Tasche gesteckt. Halb ärgerlich, halb belustigt sah er vor sich hin. »Deine Freundinnen sollten mit meiner Privatadresse sparsamer umgehen«, meinte er. »Der Brief kommt von jemand ganz anderem, aber der Umschlag stammt von ihr. Ein Wandsbeker Kriegskamerad, der eine Unterstützung braucht. Willst du lesen?« – Annette ließ die Hülle, grau und leinenartig, auf die Holzroste gleiten. »Ich habe wenig Sinn für fremde Leute, solange Papa derart im Druck steckt.«
    Herr Footh wußte Bescheid. Annette, vorhin auf dem Deck der Yacht »Goldauge« ausgestreckt wie eine braune Najade, hatte ihm berichtet, daß der Senat ihren Vater dringend ersucht hatte, endlich die Hinrichtung der vier längst zum Tode Verurteilten anzusetzen, ihre Zellen freizumachen. Der Führer wünschte, nach Hamburg zu kommen, der Hochbrücke über die Elbe wegen, die er plante. Aber erst mußte da reiner Tisch gemacht werden, der Prozeß gegen Timme und Genossen ausgespielt haben.Das Reichsjustizministerium war vorstellig geworden, Herr Denke aber, Scharfrichter aus Magdeburg, noch immer bettlägerig. Jetzt mahnte man ihren Vater, Ersatz zu schaffen. »Wenn dein alter Herr diese Genossen noch länger in Pension behält, wird er sich schließlich selbst in den Geruch bringen, Kommunist zu sein«, hatte Herr Footh lachend bemerkt und war ins Wasser gesprungen, während Annette die Segelleine hielt und ihm ein Tau zuwarf, damit »Goldauge« ihm nicht in der leichten Brise um Hunderte von Metern entschlüpfte. Jetzt plötzlich erhob er sich vom Stuhle, schlenderte an die Brüstung der Veranda, kam zurück, schenkte sich einen Kognak ein, Martell stand auf der dickbäuchigen Flasche. »Dem Manne kann geholfen werden. Beiden Männern. Deinem Vater auch. Nu, lies das mal.« Und er reichte ihr mit leicht zitternder Hand das geöffnete Briefblatt hin: »Geburtstagsgeschenk vom alten Herrn Goethe«, schmunzelte er.
    Annette überflog die Zeilen, blickte verständnislos zu ihm hoch. »Ein Kriegskamerad«, wiederholte sie, »gut und schön. Albert Teetjen. Und was hat das mit meinem Vater zu schaffen?« – »Dummchen«, rief er und machte mit dem Zeigefinger unter den Namenszug eine unterstreichende Bewegung. »Albert Teetjen, Schlächtermeister«, betonte er dazu. Annette ließ die Hand mit dem Briefe sinken, das Papier fallen. Der Wind trieb es ein paar Schritte über die Veranda, nun lag es neben dem grauen Kuvert. Aus weitgeöffneten Augen drängten sich ihre Blicke in die seinen, sonst regte sich nichts in ihrem Gesicht. »Laß die kostbare Adresse nicht fortfliegen«, rief Footh und setzte seinen Fuß mit dem Segelschuh darauf, bückte sich und barg es in der Seitentasche. »Wieviel, sagtest du, soll dem Herrn Denke die Berufsausübung diesmal einbringen?« – Annettes Mund stand leicht geöffnet, mehrere Atemzüge lang. Sie legte ihre braune Hand ans Kinn, über dem sich die Wangen straff und schön rundeten, herzförmig gleichsam, ziemlich slawisch: »Ich glaube zweitausend Mark«, antwortete sie halblaut, bewegt von Bedenken, gleichsam benommen. Er verstand die Regungen nicht, die in ihr auf- und abstiegen. »Wetten, daß es klappt?« rief er. »Was kriege ich, wenn deinem Vater der Rotwein wieder schmeckt?« Ein glückliches Lächeln lockerte ihren Mund, und indem sie ihm beide Armeentgegenstreckte und auch die Schultern zu ihm emporhob, hörte sie, sie wußte nicht warum, von ihrer inneren Stimme zwei berühmte Verse Gretchens, die hier genau paßten: »Ich habe schon so viel für dich getan, daß mir zu tun fast nichts mehr übrig bleibt.« Aber sie sprach sie nicht aus, da er bestimmt hätte fragen
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