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Rico, Oskar und das Herzgebreche

Rico, Oskar und das Herzgebreche

Titel: Rico, Oskar und das Herzgebreche
Autoren: Andreas Steinhöfel
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    Â 
    Auf dem Schild stand Berlin . Ein roter Balken lag quer über den Buchstaben, von unten links nach oben rechts beziehungsweise über Kreuz andersrum. Hier war die Stadt zu Ende.
    Â»Und, Rico?«, sagte neben mir der Wehmeyer. »Gefällt es dir hier draußen?«
    Ãœber der Teerstraße, auf der wir gekommen waren, flimmerte heiß die Luft. Die Straße selber führte weiter schnurgeradeaus, wurde schmaler und immer schmaler und verschwand in der Ferne, ein schwarzer Strich. Zu beiden Seiten stand meterhoch Mais auf den Feldern, ausgeblichen und trocken. Wind fuhr zwischen die Stauden, so dass sie raschelten und flüsterten wie altes Papier. Über allem wölbte sich so gewaltig der Himmel, als hätte der liebe Gott eine riesige Salatschüssel umgestülpt, blau wie Mamas Badewasser, wenn sie ihr geliebtes griechisches Mittelmeeraroma reingekippt hat.
    GRIECHISCHES MITTELMEER : Die Ägäis. Es gibt noch mehr Mittelmeer an anderen Stellen, aber da heißt es dann anders. An einem Ort namens Gibraltar fließt es in den Atlantik. Ein paar Affen sitzen auf Felsen und gucken dabei zu, keiner weiß, warum. Wahrscheinlich fragen sie sich, warum es kein Rechts- und kein Linksmeer gibt. Nur das in der Mitte. Es ist ein merkwürdiger Ort.
    Normalerweise komme ich ja mit geradeaus viel besser zurecht als mit Kurven und Ecken, deshalb hätte ich diese Maisfeldstraße eigentlich toll finden müssen. Tat ich aber nicht. Hier draußen war alles so weit und so hoch und so ohne Ende, dass mir schwindelig wurde. Als könnte man einfach drauflosgehen, ohne jemals irgendwo anzukommen, bis es zuletzt nur noch Maisfelder gab, in denen man sich hoffnungslos verirrte und von Feldhamstern angegriffen wurde. Vor zwei Wochen, als ich noch im Krankenhaus lag, hat Berts mir ein Tierlexikon geschenkt, da ist ein Bild von einem drin. Anders als meine beiden geliebten und unvergessenen Mollies – Gott sei ihren kleinen Goldhamsterseelen gnädig – sind Feldhamster riesige Bestien mit Mörderzähnen, stahlharten Krallen und dicken Backentaschen. In jede Backe passt spielend ein Kind rein, ein kleines sogar mit Fahrrad, wenn es auf dem Weg nach Hause an so einem gefährlichen Feld vorbeifährt.
    Ich betrachtete die wogenden Maisstauden, schwitzte ein bisschen vor Angst und wünschte mir, Oskar wäre bei mir. Dann hätte ich weniger Muffe und der Feldhamster keine Schlagseite, weil in einer Backe noch massig Platz war.
    Mann, Mann, Mann!
    Ich presste die Lippen aufeinander und lugte heimlich über die Schulter. Das Motorrad vom Wehmeyer stand am staubigen Straßenrand geparkt. Polierter Chrom und knutschroter Lack funkelten in der Sonne. Zwei Sturzhelme lagen auf dem Sitz, ein großer und ein kleiner – der Wehmeyer hat zweiSöhne, der eine ist nur ein Jahr älter als ich. Auf dem Tank stand BMW. Berts hat eine Ducati, die ist viel schicker. Trotzdem war es freundlich vom Wehmeyer, mitten in den Sommerferien mit mir durch die Gegend zu düsen, auch wenn ich am liebsten so schnell wie möglich wieder von diesem gruseligen Ort abgehauen wäre. Wir hätten genauso gut am Ende der Welt stehen können.
    Ich war noch nie aus der Stadt draußen gewesen, nicht mal mit der Bahn. Wenn es nach mir ginge, konnte das auch gern so bleiben. Zu weit weg von Berlin bringt mich völlig durcheinander, außer es gibt am Ende von Zuweitweg was zu essen, zum Beispiel in Waltersdorf. Da war ich mal mit Mama und Irina bei IKEA. Wir kauften Regale fürs Wohnzimmer und es gab schwedische Fleischbällchen zu Mittag. Sie heißen Köttelböller, explodieren aber nicht. Sie sind einfach nur lecker. Noch leckerer sind die schwedischen Waffeln zum Nachtisch, die aus lauter kleinen Herzchen zusammengesetzt sind, mit Kirschen und Puderzucker drauf, als hätten die Herzchen geblutet und es anschließend kleine Kristallflocken darauf geschneit, und –
    Â»Rico?«
    Â»Hm?«
    Â»Ob es dir hier gefällt.«
    Â»Oh … Ja, es ist ganz toll. Vielen Dank, dass Sie mich mitgenommen haben.«
    Der Wehmeyer glaubte, mir einen großen Gefallen zu tun, da war es nur fair, wenn ich mich ein bisschen zusammenriss.Außerdem ist er Lehrer, und bei Lehrern weiß man nie. Womöglich geben die einem sogar für Motorradausflüge Noten.
    Der Ausflug war der versprochene Bonus für mein Ferientagebuch. Ich hatte es dem Wehmeyer
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