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Das Schweigen der Toten

Das Schweigen der Toten

Titel: Das Schweigen der Toten
Autoren: Todd Ritter
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Prolog
    Der Schmerz brachte ihn schlagartig wieder zu Bewusstsein. Ein starkes, gleichmäßiges Pochen, das vom Mund ausging und noch in der Backe und im Hals pulsierte. Er wollte stöhnen – der Schmerz verlangte danach –, aber es gelang ihm nicht. Sooft er einen Laut von sich zu geben versuchte, wurden die Qualen noch größer.
    Er blieb still und lauschte seinem stockenden Atem. Als er die Augen aufschlug, sah er nur Dunkelheit, etwas streifte seine Wimpern.
    Ein Tuch. Schwer und rau.
    Man hatte ihm die Augen verbunden.
    Sein Gesicht war feucht, von Blut, wie es schien. Es rann ihm über die Wange. Auch der Mund war voll davon. Es sammelte sich zwischen den Zähnen.
    Blut. Jetzt war er sicher. Er schmeckte es.
    Er lag auf dem Rücken, starr ausgestreckt. Als er versuchte, die Arme zu bewegen, rührten sie sich nicht. Arme, Beine, der Rumpf und sein Kopf waren fest mit einem Seil umwickelt. Es zwang seine Schultern nach hinten, die von fünfzig Jahren harter Arbeit auf dem Feld krumm geworden waren.
    Er geriet in Panik, atmete schneller, schnaufte wie eine Lokomotive, die Fahrt aufnahm. Er versuchte, um Hilfe zu rufen, doch der Mund wollte sich nicht öffnen. Die Lippen klebten aufeinander, und der Schmerz wurde unerträglich. Sein Ächzen fand keinen Ausweg, blieb in der Kehle stecken.
    Da begriff er, was geschehen war. Der Schmerz brachte Klarheit und schärfte seine Sinne.
    Jemand hatte ihm den Mund versiegelt.
    Noch einmal versuchte er zu schreien, in der Hoffnung, allein mit dem Druck die Blockade durchbrechen zu können. Das Geräusch, das dabei herauskam, war ihm vertraut. Er hatte es auf der Farm immer wieder gehört – das schrille Kreischen direkt vor der Schlachtung. Nur gab diesmal er es von sich.
    Er hörte noch etwas anderes.
    Schritte.
    Es war noch jemand da.
    «Halt still, dann ist es nicht ganz so schlimm», sagte eine Stimme in der Dunkelheit.
    Er spürte warmen Atem am Ohr, eine Hand, die sein Kinn umfasste und den Kopf festhielt.
    Etwas drückte gegen seinen Hals. Kalt. Scharf. Einen Moment lang spürte er einen leichten Druck, eine beunruhigende Spannung. Dann drang das kalte, scharfe Etwas
durch
seine Haut und in seinen Körper ein, teilte das Fleisch.
    Blut sprudelte aus ihm heraus, ergoss sich über Schultern und Haare. Hilflos lag er da, fühlte sich wie ein frischgeschlachtetes Tier. Mit jedem Herzschlag quoll ein weiterer Schwall aus ihm hervor.
    Diesmal war der Schmerz unerträglich. Es war nicht mehr nur in seinem Mund.
    Es war in ihm.
    Es war überall.
    Er schrie. Nicht laut, aber in seinem Kopf. Die Sirenen des Entsetzens hallten von den Schädelknochen wider. Der scharfe, kalte Gegenstand blieb in seinem Hals. Der Schmerz war so überwältigend, er vernichtete seine Gedanken, seine stummen Schreie. Er vernichtete alles, bis in seinem Kopf nichts mehr war, nur noch Schmerz.
    Und Angst.
    Und, schließlich, Dunkelheit.

Eins
    «Chief Campbell!»
    Kaum hatte Kat ihren Fuß auf den Gehweg gesetzt, rief jemand so laut ihren Namen, dass es auf der ganzen Main Street zu hören war. Sie war gerade bei
Big Joe’s
gewesen, einem
Starbucks
-Verschnitt, und hielt einen extragroßen Becher Kaffee in der Hand, der auch so teuer gewesen war wie bei
Starbucks
. Vier Dollar. Normalerweise hätte sie sich darüber geärgert. Aber es war ein grauer, kalter Morgen, und sie brauchte unbedingt einen Kaffee, der ein bisschen wärmte und für einen klaren Kopf sorgte. Bedauerlicherweise hörte sie nun schon zum zweiten Mal ihren Namen, was sie daran hinderte, den ersten heißgeliebten Schluck zu nehmen.
    «Hey, Chief!»
    Es war Jasper Fox, Besitzer eines Blumenladens, der mit dem Namen
Awesome Blossoms
geschlagen war. Trotz der Kälte glänzte sein Gesicht vor Schweiß, als er auf sie zugelaufen kam.
    «Ich bin beklaut worden.»
    Kat hielt mit dem Kaffeebecher vor dem Mund inne und blinzelte ungläubig. Diebstahldelikte kamen in Perry Hollow ungefähr so häufig vor wie eine Sonnenfinsternis. In den von Kiefern gesäumten Straßen mit ihren verschlafenen alten Fassaden gab es selten Ärger.
    «Beklaut? Sind Sie sicher?»
    Jasper hatte einen absurden Schnurrbart, dessen Spitzen wie zwei schmutzige Eiszapfen von seinem Gesicht hingen. Sein Anblick erinnerte Kat immer an ein Walross. An diesem Morgen hing der Schnurrbart noch tiefer herab als sonst.
    «Ich muss es ja wohl wissen», sagte Jasper.
    Seine beleidigte Miene verriet, dass er eine andere Reaktion erwartet hatte. Irgendwas Tatkräftiges,
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