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Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot
Autoren: Elisabeth Rapp
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was er sagt?«, ruft Paolo mir zu.
    Antti stöhnt und stößt Laute aus. Nein, ich verstehe nichts und denke, so ist es im Krieg. Stöhnen, Schreie, Hubschrauber und Schüsse.
    Riski lässt Goedel nicht aus den Augen und gibt uns Anweisungen. Ich kriege mit, dass es um Anttis Augen geht. Riski will, dass er sie geschlossen hält.
    Ich setze mich neben Antti und lege ihm meine kalten Hände über die Augenlider, ohne ihn zu berühren. Ganz leicht, wie die Flügel eines kleinen Vogels.
    »Lauf rüber und sag ihnen, dass wir zwei Verletzte haben!«, brüllt Riski.
    Kolja rennt zu dem Hubschrauber, der gerade landet.
    Riski rührt sich nicht von der Stelle. Anttis Waffe liegt in seiner Hand, entschlossen auf Goedel gerichtet. Sein Gewehr hat er wieder geschultert.
    Ich lasse meine Hände auf Anttis Augen. Er zittert nicht mehr so stark, atmet etwas ruhiger. Sein Gesicht ist rot und verzerrt. Ich konzentriere mich so sehr auf ihn,dass ich das Stöhnen des anderen, als man ihn auf die Trage hebt, fast nicht höre.
    Riski nimmt den fremden, schweren Rucksack mit und begleitet die Trage.
    Zwei Männer, die mit dem anderen Helikopter gekommen sein müssen, legen Antti auf eine zweite Trage. Er schreit gellend, voller Not und Schmerzen.
    Mir laufen Tränen übers Gesicht. Ich stehe auf und blicke auf die Stelle, wo der Mann im Kojotenfellmantel gelegen hat. Goedel.
    Im Schnee ist ein Abdruck zurückgeblieben.
    Mit ausgebreiteten Armen.
    In der Mitte eine Blutspur.
    Am Rand zertrampelt.
    Der Hubschrauber hebt mit den Verletzten und Riski ab.
    Lärm und Gewalt sind in unsere Stille eingebrochen.
    Wie viel Zeit ist vergangen?
    Wir sollen mit einem Polizisten warten, den wir nicht verstehen. Er spricht Russisch, Karelisch und Finnisch. Und er ist kein Pilot, so viel ist klar. Sonst müssten wir nicht hier bleiben.
    »Man sollte den Fensterladen zumachen.« Sie lassen uns nicht in die Hütte rein. »Und das Benzin rausholen.«
    Kolja zupft den Polizisten am Ärmel und zieht ihn zur Hütte. »Benzin, fuel, petrol, gas, benzine, motor spirit.«
    »Soll einer kommen und sagen, wir hätten mit unserem mittleren Wissen keine Mittlere Reife verdient«, murmelt Paolo.
    Derweil schließt Kolja pantomimisch den Fensterladen und zeigt dem Polizisten Goedels Schneemobil.
    Der macht uns verständlich, dass dies ein Tatort ist, der nicht aufgeräumt wird. »Poliisi.« Seine Gesten sind beschwichtigend, die Polizei wird sich darum kümmern.
    Wir warten im Helikopter.
    Draußen wird alles blau. Endlos blau. Eine der Farben des Schnees und des Todes. Es ist wieder sehr still.
    Der Himmel steht offen. Keine Wolken.
    Erste blasse Sterne.
    Paolo sitzt dicht rechts neben mir und sagt: »Wir bleiben zusammen.«
    Dicht links neben mir sagt Kolja: »Das steht fest.«
    Paolo: »Ich lass dich nicht allein.«
    Kolja: »Ich lass dich auch nicht allein.«
    Paolo: »Ich meine es anders.«
    Ich weiß, wie er es meint.
    Kolja: »Ich auch.«
    Ja, ich weiß, dass er es anders meint als Paolo. Beide verstärken den Druck. Ich schluchze auf.
    Aber nur kurz, weil es guttut zu wissen, dass wir zusammenbleiben. Ich habe sonst niemand.
    Der Polizist auf dem Vordersitz dreht sich um. Seine Augen sind schwarz vor Trauer.
    Eine halbe Stunde später landet ein Polizeiteam mit einem zusätzlichen Piloten. Er steigt vorne ein.
    »Up we go. They are waiting for you.«
    Wer oder was wartet auf uns? Mit Getöse steigen wir auf.
    Über dem Pasvik Zapovednik Nationalpark rühren die Rotorblätter in der giftigen Weltallsuppe. Ein gelbgrün leuchtendes V windet sich über den nächtlichen Himmel und dreht sich, wo es zusammentrifft, zu einer Spirale.
    Morgen ist der 24. Dezember. Der Heilige Abend. Weihnachten steht vor der Tür.
    In Ivalo landen wir vis-à-vis des Kommissariats. Riski, Kriminalassistent Harald Hultmann und Kommissar Eenu Mieto erwarten uns bereits vor der Wache.
    Wir fangen an zu laufen.
    »Wie geht es Beck?«, fragt Paolo.
    »Er ist über den Berg. Er hat Glück gehabt«, sagt Riski.
    »Können wir zu ihm?«
    »Morgen. Macht euch keine Sorgen, er ist nicht mehr in Lebensgefahr. Wir haben exzellente Spezialisten für Hypothermie.«
    »Und Antti?«, frage ich.
    »Er ist stark«, sagt Riski bedrückt. »Die Ärzte kümmern sich um ihn. Kommt rein.«
    Eis und Feuer. Der Mann im Kojotenfell kämpft mit äußerster Brutalität und extremen Mitteln. Ich frage nicht nach ihm.
    Mieto nickt mir zu. Hultmann hält die Tür auf.
    »Habt ihr Hunger? Durst?«, will Hultmann
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