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Der Kalte Kuss Des Todes

Der Kalte Kuss Des Todes

Titel: Der Kalte Kuss Des Todes
Autoren: Suzanne McLeod
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1. K apitel
    D as Kind stand barfuß im prasselnden Regen; eisige Windböen peitschten ihr das lange, dunkle Haar ins Gesicht. Ihr schäbiges Nachthemd schlotterte um ihren mageren Körper. Sie konnte nicht älter als acht oder neun Jahre sein. Zornig starrte sie mich an.
    Das Herz klopfte mir bis zum Hals, als ich sie erblickte, und ein Schauder lief mir über den Rücken, als würde mir jemand mit den Fingernägeln über die Wirbelsäule streichen. Die Leute liefen achtlos an ihr vorbei über den weiten, gepflasterten Vorplatz und auf die warmen Lichter von Covent Garden zu, den überdachten Markt mit seinen malerischen kleinen Geschäften und Cafés, seinen Straßen-Entertainern und Verkaufsbuden.
    Es war Ende Oktober, und der Herbststurm, der durch London toste, sorgte dafür, dass bestimmte magische Artikel reißenden Absatz fanden: Ganzkörper-Regenschirme, Trockenfuß-Pfützen, regenabweisende Haarspangen und derlei mehr. Niemand blieb stehen an diesem Spätnachmittag, um der Kleinen zu helfen, keiner bemerkte sie außer mir.
    Aber sie war schließlich ein Geist.
    Und nicht viele Menschen haben die Fähigkeit, Geister zu sehen.
    Ich bin eine Sidhe Fae. Ich kann Geister sehen. Aber das Sehen ist nicht das Problem – schwierig wird es erst, wenn so ein Geist beschließt, mir nachzugeistern so wie Cosette, die mir vor zwei Wochen zum ersten Mal erschienen war und
mich seitdem verfolgte. Auch schien es nichts zu nützen, dass ich mir sagte, Geister können den Lebenden nichts anhaben, denn jedes Mal, wenn ich sie sah, empfand ich den überwältigenden Drang, kehrtzumachen und davonzulaufen.
    Ich holte tief Luft und joggte auf sie zu. Sie streckte mir flehend die Arme entgegen, den Mund zu einem stummen Schrei aufgerissen, doch ich hörte nur das Tosen des Windes.
    Ich blieb vor ihr stehen, musste ein Schaudern unterdrücken.
    »Cosette, so geht das nicht weiter. Wir müssen unbedingt einen Weg finden, miteinander zu kommunizieren.« Ich seufzte frustriert, sodass ich meine Angst beinahe vergaß. »Ich will dir ja helfen, aber das kann ich nicht, wenn ich nicht weiß, was du von mir willst.«
    Sie packte ihr langes Hemd und riss es auf. Auf ihrer mageren Brust prangten drei blutige, sich überlappende Halbmonde. Ich sah sie nicht zum ersten Mal – sie hatte sie mir schon mindestens ein Dutzend Mal gezeigt -, aber mein Magen krampfte sich dennoch vor Zorn und Abscheu zusammen. Wer brachte es fertig, einem Kind so etwas anzutun? Ich wusste, die Zeichen hatten etwas mit der Mondgöttin zu tun. Sie waren weder tödlich, noch waren sie frisch, denn Cosette war, nach dem Stil ihres Nachthemds zu urteilen, schon seit etwa hundertfünfzig Jahren tot. Ich wusste nicht, warum man sie derart gebrandmarkt hatte, ob dies etwas mit ihrem Tod zu tun hatte und warum sie mich verfolgte.
    Ich hatte mich natürlich umgehört, Erkundigungen eingezogen, das Internet durchforstet, ja sogar einen fruchtlosen Nachmittag in der Hexenabteilung der British Library verbracht – ohne Ergebnis. Ich hatte ein Medium aufgesucht, und auch das hatte sich als reine Geld- und Zeitverschwendung erwiesen. Nicht mal ihren Namen kannte ich – Cosette war meine Erfindung, nicht ihr richtiger Name. Jetzt blieb
mir nur noch, einen Nekromanten zu fragen. Aber Nekros sind nicht leicht zu finden. Es ist zwar legal, die Toten zu befragen, aber sie sich untertan zu machen, das ist verboten.
    Trotzdem – Cosette und ich brauchten Hilfe.
    »Ja, ich sehe es.« Schaudernd starrte ich die hervortretenden, blutigen Symbole an. Das Wasser tropfte mir von den Haarspitzen und lief mir eiskalt in den Nacken. »Aber ich weiß immer noch nicht, was du von mir willst.«
    Sie ließ die Arme sinken und stampfte frustriert mit dem Fuß auf. Dann reckte sie wie üblich den Hals und spähte um mich herum, als würde sie jemanden sehen. Ihre Äthergestalt begann zu flackern, und sie verschwand, als würde man eine Kerze ausblasen.
    Nervös fuhr ich herum. Ich hatte das Gefühl, dass sich diesmal tatsächlich jemand oder etwas an mich herangeschlichen hatte. Suchend schaute ich mich um. Vor mir ragte die Fassade der St. Paul’s Kathedrale ehrfurchtgebietend in die Höhe. Ein warmes Licht, wie von Kerzen, schien durch die hohen Buntglasfenster nach draußen. Unter dem Vordach der Kathedrale drückten sich drei Souler zusammen, sogenannte Seelenschützer.
    Ich bekam eine Gänsehaut, was nicht nur an meinen nassen Joggingschuhen und der durchweichten Steppweste lag. Ihre langen
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