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Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot
Autoren: Elisabeth Rapp
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plötzlich auf. Sein Gesicht ist riesig, die Augen ernst, sein Mund bewegt sich. Ich verstehe ihn nicht. Ich strenge mich an, und höre ganz deutlich, wie er sagt: Du solltest nicht da sein, Alma.
    Luft! Ich kriege keine Luft! Meine Arme sind festgebunden, ich kann mich nicht bewegen. Mein Kopf steckt in einem Sack, ich beiße auf Stoff, will schreien, aber es kommt kein Ton heraus. Ist das ein Traum? Nein, ich träume nicht, das ist real. Wo bin ich? Es dauert eine schreckliche Weile, bis ich begreife, dass ich im Schlafsack stecke, mich verheddert habe. Ich bin völlig verschwitzt und ringe nach Atem, als ich endlich den Reißverschluss ein Stück aufkriege.
    »Tilly?«, flüstert Paolo.
    Er ist neben mir, und ich rolle mich, so schnell ich kann, dicht an seine Seite. »Ich hab einen furchtbaren Albtraum gehabt.«
    »Psst, ist ja gut.« Seine Lippen kitzeln an meinem Ohr.
    »Wo sind wir?«
    »In der dritten Hütte, meine kleine Obergestörte. Wir sind mitten im Nichts. Vorm Schlafengehen haben wir draußen das gigantischste Polarlicht aller Zeiten bestaunt und die Schönheit der Weltallsuppe bewundert. Weißt du noch?«
    »Ja.«
    Paolo opfert einen Arm und drückt mich an sich. Außerhalb des Schlafsacks ist es eisig.
    »Bitte, steck deinen Arm wieder rein. Der friert sonst ab.«
    »Verstecken wir uns hinterm Ofen und ich heiz dir ein?«
    Ich spüre einen Stich im Bauch vor Verlangen. Im Ofen schimmert Glut. »Und wenn die aufwachen?« Riski und Kolja atmen geräuschvoll. »Ich trau mich nicht.«
    »Was hast du geträumt?«, fragt er.
    »Eine alte Geschichte. Dann tauchte der Chef auf und hat gesagt, ich sollte nicht da sein. Er hat mich Alma genannt. Seine Stimme hat geklungen wie die von …«
    »Goedel?«
    »Ja.«
    »Kannst du jetzt wieder einschlafen?«
    »Ich versuch es.«
    »Besser. du bist ausgeschlafen, sonst zieht dich Kolja morgen ab.« Paolo lächelt, ich höre es an seiner Stimme.
    »Er trainiert für Olympia«, murmle ich an seiner Backe.
    »Ich trainiere für dich.«
    Wie Polarlicht streifen seine Lippen meine. Sonnenwind, mir wird heiß. Mein Herz schlägt schnell und stark.
    Holz nachlegen und Wasserkessel aufstellen. Heute verwöhne ich die Kerle mit heißem Kaffee direkt an den Schlafsack. Nirgendwo schmeckt er besser.
    »Kiitos!« »Danke.« »Super.« »Hmm.« »Schlürf.«
    Ich lächle und lausche dem Sound der Dankbarkeit. Der riesige Nationalpark wird von finnischen, norwegischenund russischen Wildhütern betreut, und der geniale Riski hat sie gebeten, Vorräte in den Hütten entlang unserer Route zu bunkern. Holz, Wasser und Lebensmittel sind reichlich vorhanden. Gastfreundlichkeit ist kein Ausdruck, die Hütten stehen für alle offen. Wir müssen nur unser Zeug schleppen. An jedem Abend und Morgen bin ich froh, wenn sich die Wärme ausbreitet.
    Riski und Paolo reiben sich draußen mit Schnee ab. Ich würde erfrieren. Deshalb schicke ich die Kerle nach dem Frühstück raus und nehme warmes Wasser.
    Kolja behauptet, weder zu schwitzen noch zu schmutzen und sich den Hintern beim Kacken im Schnee regelmäßig und nachhaltig zu reinigen. Wenigstens putzt er die Zähne – nachweislich.
    Ich fege, schließe den verzogenen Fensterladen und zieh die Tür hinter mir zu. Die Hütte steht am Rand eines Fichtenwaldes. Die selteneren Birken liebe ich mehr. Sie haben Gesichter, es sind seltsame Gestalten in der einsamen Eislandschaft. Bei besonders wesenhaften Exemplaren erzählen wir uns Geschichten und knüpfen Beziehungen zwischen ihnen und besonders bizarren Schneehauben auf Fichten in ihrer Nähe.
    Die Stimmung in unsrer Truppe ist sehr gut.
    Paolo und Kolja laufen vorne, dann Riski, der neben dem Rucksack ein Gewehr zu unserem Schutz trägt.
    Neben mir rieselt Schnee vom Ast. Ein Vögelchen ist da gelandet und sieht mich neugierig an.
    »Kuck mal, ist das eine Meise?«, rufe ich Riski nach.
    Das Vögelchen zeigt keine Scheu, als wir uns unterm Ast versammeln. Es ist braungrau mit einem rötlichen Bauch und rötlichen Schwanzfedern.
    »Das ist ein Perisoreus, ein Unglückshäher«, erklärt Riski.
    »Er hat gar keine Angst«, sage ich. »Vielleicht hat er Hunger?« Der Vogel sieht mich direkt aus dunklen Augen an.
    »Dann rück dein Sandwich raus. Ich will nicht, dass er uns nachfliegt.«
    Er klemmt meine Stulle zwischen Stamm und Ast.
    »Wieso Unglückshäher?«, fragt Paolo.
    »Die Samen sagen das.« Riski verzichtet auf ausführliche Erklärungen, ganz gegen seine Art. »Weiter geht’s.«
    Wir
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