Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot
Autoren: Elisabeth Rapp
Vom Netzwerk:
wissen.
    »Wir gehen nachher mit Riski essen«, sagt Paolo, als ob das seit Langem feststünde.
    Im Kommissariat hat man etwas anderes geplant. Wie bei einer russischen Hochzeit biegt sich der Tisch im überheizten Besprechungsraum unter Schnittchenplatten, Tee- und Kaffeekannen, Aufnahmegerät und Mikrofonen. Es sieht nach einer langen Sitzung aus, und ich beschließe, alles dafür zu tun, dass es schnell geht.
    »Haben Sie hier Trainingsanzüge?« Wir kommen aus der Kälte, stecken in Skianzügen.
    Daran hat niemand gedacht. Für finnische Verhältnissebricht Hektik aus. Drei der elf Leute, die außer Riski und uns hier herumwieseln, verlassen gleichzeitig den überfüllten Raum. Rechnet man das Team bei der Hütte mit, muss die gesamte Polizei Lapplands im Einsatz sein.
    Erste Schweißtropfen treten mir auf die Stirn. Den Jungs geht’s nicht anders, also ziehen wir uns aus. Die Funktionsunterwäsche tut’s auch. Mieto und Hultmann mustern mich, als wäre ich im letzten Jahr gewachsen und erblondet.
    Ich klemme mich auf den Stuhl, die Beine unter den Tisch, trinke Tee und hab das dritte Schnittchen verputzt, als das allgemeine Stühlerücken beginnt. Zweite Tasse, viertes Schnittchen. Der Unglückshäher hat meins gefressen. Ich hab Hunger und ich muss nachdenken.
    Paolo rechts und Kolja links grübeln auch.
    »Willst du’s durchziehen?«, fragt er leise.
    Ich nicke.
    Vor Mieto liegt eine dicke blaue Mappe. Er hat Fragen zum Alma-Marter-Material.
    »War die Mappe bei Herrn Beck?« Wie ein Echo übersetzt Hultmann meine Frage ins Finnische.
    »Nein.« Keine weitere Erklärung.
    »Darf ich?« Ohne auf Zustimmung zu warten, ziehe ich die Mappe zu mir und schlage sie auf.
    »In den ersten sechs Büchern sind nur meine Panikattacken und Albträume notiert.« Ich lege sie zur Seite. »Für mich war das überlebensnotwendig. In meinem Leben ist nicht viel gut gelaufen. Meine Erinnerungen an das, was ich für mein Elternhaus gehalten habe, sind Erinnerungen an Misshandlungen, Suff und Gestank. Bis vor ein paar Monaten habe ich gedacht, es seien meine Familie,meine Eltern und meine acht Geschwister. Aber das sind sie nicht.«
    Ich ziehe das Panik-am-Polarkreis-Buch aus dem Stapel. »Ab 2009 war ich in verschiedenen Heimen und psychiatrischen Anstalten. Alle dachten, ich würde unter paranoidem Verfolgungswahn leiden. Ich glaubte es auch, bis Sandra Seiwert erschossen wurde. Da wurde mir klar, dass ich an ihrer Stelle hätte sterben sollen. Ich wusste nur nicht, wieso.«
    Niemand unterbricht mich, als ich erzähle, wie ich zu Ingo Feists GDS-Telefonnummer gekommen bin. Alles, was wir über die GDS gesammelt haben, übergebe ich Kommissar Mieto.
    »Ich wollte, dass Sandras Mörder mich für tot hält und hab damit das Gegenteil erreicht. Er hat auf mich geschossen und ist dabei ins Eis eingebrochen.« Ich berichte von meiner Krise nach dem Blick ins Gästebuch des Eishotels und zeige Mieto das eingeklebte Foto.
    »Nach dem Camp hat Michael Beck uns aufgenommen. Das war mein Glück. Trotzdem lebte ich ständig in Angst. Dann kam die irritierende Nachricht, woher Ingo Feists Papiere stammen. Und vor unsrer ersten Prüfung habe ich unter den Arbeitsblättern von Herrn Becks Vater das hier gefunden.«
    Ich lasse die Liste IV . Nicht identifizierte Leichenfunde 2000–2010 , Nr. 79-W-6-091019 herumgehen.
    »Michael Becks Vater war Rechtsmediziner. Ich kannte den Ort, an dem das tote Mädchen gefunden wurde, und hatte eine furchtbare Ahnung. Beck hat mir erlaubt, zu meiner Schwester und meiner Tante zu fahren. Von ihnen habe ich erfahren, dass Tilly Krah am 16. Februar 2004an Herzversagen gestorben war. Kathrin Krah, Tillys Mutter, hat sie in einer Wäschekiste am Waldrand eingegraben. Sie dachte, es würde nicht auffallen, wenn eins ihrer neun Kinder fehlt, und wollte weiter das Kindergeld kassieren. Mich hat die älteste Tochter Daniela in der letzten Aprilwoche aus dem Hühnerstall gezogen. Die Krahs wohnen außerhalb von Eichwitz. Das ist ein kleines Dorf. Niemand wusste, wer ich war oder woher ich kam. Ich war etwa so groß wie Tilly und konnte nicht sprechen. Sie haben mich als Tilly ausgegeben und bei sich behalten. Seitdem bin ich Tilly Krah. Was vorher war? Daran habe ich keine Erinnerung, da ist nichts als Panik und Albträume.«
    Die Zunge klebt mir am Gaumen und ich trinke Tee. Um mich ist fassungsloses Schweigen. Ich sehe Paolo an.
    Er sagt: »Weiter so.«
    »Nach meinem Heimatbesuch war ich in einer absolut
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher