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Wenn der Wind dich ruft

Wenn der Wind dich ruft

Titel: Wenn der Wind dich ruft
Autoren: Teresa Medeiros
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Erinnerung wieder den Kopf, als seine behandschuhten Finger durch ein Loch im Futter seiner Rocktasche fuhren. Als er sie wieder hervorzog, hatte er einen angelaufenen Schilling dazwischen und hielt ihn hoch.
    »Adrian hat oft gesagt, ich hätte das Glück des Teufels«, sagte er leise zu sich.
    Aber es war der Teufel gewesen, der heute kein Glück gehabt hatte, überlegte er voller Bedauern. Wären die Umstände anders gewesen, hätte der alte Bock an den Toren zur Hölle gestanden und mit seinem Huf ungeduldig auf dem Boden gescharrt, genau in der Sekunde, als Wallingford seine Pistole abfeuerte.
    Wie seltsam, dass es kein Schwefel gewesen war, sondern ein Hauch von Himmel, den er dabei gerochen hatte. Es war nicht das erste Mal, dass ihn dieser besondere Geruch verfolgte. Der flüchtige Duft hatte ihn einmal in einer engen Gasse in Kairo eingehüllt, die exotischen Aromen von Kreuzkümmel und Kurkuma überlagert. Er war durch ein rußverschmiertes Fenster in ein Pariser Mansardenzimmer gedrungen und hatte in seinem Körper einen brennenden Hunger geweckt. Und auf einem regendurchweichten Schlachtfeld in Burma, während ihm noch der Gestank von vergossenem Blut und Pulverdampf in der Nase hing, roch er ihn in dem aufkommenden Wind. Der Duft war ihm so lieb und herrlich vertraut, dass sein Magen sich vor Sehnsucht nach einem Zuhause verkrampft hatte, das ihm nie vergönnt sein würde.
    Es roch überhaupt nicht wie die schweren Parfüms mit Gardenien und Jasmin von den Frauen, die ihm häufig Trost und Nahrung boten. Es war der süße Seifen-Rosmarin-Duft der Haut eines jungen Mädchens — Unschuld und Verführung in einer unwiderstehlichen Mischung. Es war der Duft seidiger dunkler Mädchenlocken, die seine Wangen streiften, als sie sich vorbeugte, um für ihn die Notenblätter am Klavier umzudrehen, ehe sie ihm ein übermütiges Lächeln schenkte.
    Wie er es schon so oft getan hatte, zwang Julian sich, das Bild rücksichtslos zu verdrängen. Er warf die Münze hoch, fing sie mit der anderen Hand auf und schlenderte in die anbrechende Nacht. Vermutlich würde er sich nur ein einziges Spiel leisten können, aber vielleicht könnte er wenigstens eine einigermaßen hübsche Dirne dazu bringen, sich seiner zu erbarmen.
    Den Kragen seines Mantels gegen die eisigen Schneeflocken hochschlagend, überquerte er die Straße und betrat eine der Spielhöllen von Covent Garden, die einen so schlechten Ruf hatte, dass selbst Leute wie er eingelassen wurden.
    Julian hatte tatsächlich teuflisches Glück. Weniger als zwei Stunden später saß er am Brag-Tisch, und vor ihm stapelten sich seine Gewinne. Mit einer genau kalkulierten Mischung aus Charme, List und Geschick war es ihm gelungen, aus diesem einen Schilling einen schimmernden Haufen Goldmünzen und Pfundnoten zu machen. Es mochte nicht reichen, Wallingford und seine Drohung mit dem Schuldgefängnis mehr als ein oder zwei Tage in Schach zu halten, aber es war genug, um dafür zu sorgen, dass er die Nacht nicht allein verbringen musste.
    Oder hungrig.
    Sanft rieb er der dunkelhaarigen, rehäugigen Schönen auf seinem Knie den Rücken, was ihr einen eifersüchtigen Blick von der goldhaarigen Kleinen eintrug, die sich wie eine Hermelinstola um seine Schultern drapiert hatte. Jedes Mal, wenn er seinen Kopf wandte, überwältigte ihn fast der Gestank des billigen Lavendelwassers, das sie benutzt hatte, um sich zu waschen, nachdem sie den letzten Spieler nach oben begleitet hatte.
    Unter den wachsamen Blicken der anderen drei Männer am Tisch, die ihre hoffnungsvollen Mienen nicht zu verbergen vermochten, glitten seine blassen Finger mit nachlässiger Anmut über die Karten, breiteten sie aus und deckten einen weiteren Gewinn auf.
    Einer seiner Mitspieler stöhnte, ein anderer warf seine Karten angewidert auf den Tisch. »Verflucht, Kane! Dein Glück ist beinahe unnatürlich! «
    »Das hat man mir schon oft gesagt«, murmelte Julian als Erwiderung, während die Männer ihre Biberhüte und ihre Spazierstöcke nahmen, sich von dem Tisch entfernten, mehr als einen Wochenlohn darauf zurücklassend.
    Geistesabwesend streichelte Julian die runde Hüfte der Brünetten, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und streckte seine langen Beine aus. Er ließ seinen Blick durch den verqualmten Raum schweifen, hielt nach seinem nächsten Opfer Ausschau. Die meisten der Gäste waren mangels Kreditwürdigkeit nicht länger bei den angeseheneren Etablissements wie White's und Boodle's willkommen.
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