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Wenn der Wind dich ruft

Wenn der Wind dich ruft

Titel: Wenn der Wind dich ruft
Autoren: Teresa Medeiros
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Verzweiflung hing fast greifbar in der Luft, ähnlich wie in den Haschisch- und Opiumhöhlen in Konstantinopel und Bangkok. Ihre Finger zuckten und ihre Augen glühten, während sie auf das nächste Spiel warteten. Es dürfte nicht allzu schwer sein, ein paar Händler mit überzogenem Konto oder den unehelichen Sohn eines verarmten Adeligen in seine Falle zu locken.
    »Warum hörst du nicht mit den Karten auf und spielst lieber mit mir für eine Weile?«, säuselte die Brünette und rutschte mit ihrem Hintern tiefer in seinen Schoß.
    Die Blondine lehnte sich über seine Schulter, um ihm ein frisches Glas Port aus der halbleeren Flasche auf dem Tisch einzugießen. Sie ließ ihre hellbraunen Wimpern flattern, drückte ihren üppigen Busen gegen seinen muskulösen Oberarm. »Wenn du deine Karten geschickt ausspielst, kannst du uns beide für die Nacht gewinnen.«
    Julian setzte sich anders hin. Ihre Bemühungen blieben zweifellos nicht ... ohne Wirkung, aber er war noch nicht bereit, den Tisch zu verlassen. »Geduld, meine Süßen«, sagte er. »Im Augenblick ist das Glück meine einzige Geliebte, und ich will verdammt sein, wenn ich sie einem kalten und einsamen Lager überlasse, solange sie warm und willig ist.« Die Blondine bestrafte ihn dafür spielerisch mit einem Biss in sein Ohrläppchen, während er die schmollende Brünette mit einem Kuss auf die rot gemalten Lippen besänftigte.
    Jemand räusperte sich.
    In dem Geräusch lag so scharfe Missbilligung, dass Julian sich nur knapp beherrschen konnte, nicht wie ein bei irgendwelchem Unfug ertappter Schuljunge zusammenzufahren. Langsam hob er den Kopf und entdeckte eine Frau, die hinter dem Stuhl ihm gegenüberstand.
    Nein, keine Frau, sondern eine Dame , verbesserte er sich, während sein Blick über ihre mit Nerz verbrämte Pelisse aus tief weinrotem Samt zu dem mit Federn geschmückten Hut glitt, der auf ihren hochfrisierten glänzend schwarzen Locken thronte. Ein wulstiges Retikül, das oben fest zugezogen war, baumelte an ihrem Handgelenk. Der erlesene Schnitt und das hochwertige Material ihrer Kleidung bildeten einen scharfen Kontrast zu der wesentlich schäbigeren Erscheinung der anderen Gäste des Clubs. Ein schimmernder Heiligenschein schien sie zu umgeben, hob sie von dem Zigarrenrauch und dem groben Gelächter in ihrer Umgebung ab. Aus dem Augenwinkel konnte Julian sehen; dass sie auch andere Blicke auf sich zu ziehen begann — manche neugierig, einige misstrauisch, andere mit unverhohlen raubtierhaftem Interesse.
    Sie hatten andere Frauen wie sie schon hier gesehen. Wohlhabende Damen mit einem unstillbaren Appetit auf Spiele mit hohem Einsatz. Da dem schwachen Geschlecht schon allein der Zutritt zu den angeseheneren Clubs generell verwehrt war, die ihre Gatten frequentierten, waren sie gezwungen, zur Befriedigung ihrer Spielleidenschaft Etablissements wie dieses aufzusuchen. Sie waren dem Glücksspiel derart verfallen, dass sie bereit waren, ihren guten Ruf und ihr Vermögen auf die wankelmütigen Würfel oder Karten zu setzen.
    Häufig genug geschah es, dass eine solche Dame spielte, bis auch die letzte ihrer Münzen verloren war, sodass ihr nur noch ein Weg blieb, ihre Schulden zu begleichen. Aus irgendeinem Grund konnte Julian den Gedanken nicht ertragen, dass diese Frau gezwungen sein könnte, irgendeinen hämisch grinsenden Spieler in eines der Zimmer oben zu begleiten. Konnte die Vorstellung nicht aushalten, dass sie grob auf die Knie geschubst und ihr das alberne Retikül entrissen würde.
    Der Netzschleier, der an der weiten Krempe befestigt war, überschattete ihre Augen und verlieh ihr etwas unwiderstehlich Geheimnisvolles. Alles, was er erkennen konnte, war eine sanft gerundete Wange mit einem Grübchen, ein spitzes kleines Kinn, das auf ein herzförmiges Gesicht hinwies, und ein Paar voller Lippen, die fürs Küssen oder andere verbotene Genüsse wie geschaffen aussahen.
    Mit einiger Anstrengung riss er seinen Blick von ihrem Mund los, aber er blieb gleich darauf an dem burgunderroten Samtband hängen, das ihren Hals umschloss. Einen anmutigen, schlanken Hals, an dessen Ansatz, kaum erkennbar für das bloße Auge, mit jedem Schlag ihres Herzens ein Puls flatterte. Julian musste sich zwingen, woanders hinzuschauen, ehe er sich durch den Hunger in seinen Augen verraten konnte. Um sich abzulenken, hob er sein Glas an die Lippen und nahm einen tiefen Schluck von dem Port, obwohl er wusste, dass es nur ein erbärmlicher Ersatz für das war,
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