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Wenn der Wind dich ruft

Wenn der Wind dich ruft

Titel: Wenn der Wind dich ruft
Autoren: Teresa Medeiros
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»Oh, sieh mal! Deine Hände bluten ja!«
    Jenny ballte ihre Hände, sodass ihre Finger die aufgerissenen Handflächen verdeckten, plötzlich war sie verlegen wegen ihrer rauen Haut und dem Schmutz unter den Fingernägeln. »Es ist nichts, wirklich, nur ein Kratzer.«
    »Warum lässt du es mich nicht ansehen?«
    Obwohl sie sich wehrte, war der Griff des Fremden erstaunlich kräftig. Ehe sie recht wusste, wie ihr geschah, betrachtete er mit seinen glühenden Augen ihre offene Hand. Sie dachte, sie würde gleich ein Taschentuch gereicht bekommen, um die Schürfwunde zu verbinden, aber zu ihrem Entsetzen bog der Fremde ihre Finger nach hinten und begann das frische Blut gierig aufzulecken.
    Zitternd vor Schreck entriss ihm Jenny ihre Hand und fuhr herum, wollte wegrennen, ahnte schon, dass die Zukunft kein gemütlich wärmendes Feuer und keine dampfende Schüssel Brei mehr für sie bereithalten würde. Ehe sie zwei Schritte machen konnte, hielt der Fremde sie erbarmungslos fest. Sie trat und schlug um sich, die Hände verzweifelt zu Klauen gekrümmt, aber ihre Stärke war der ihres Angreifers bei weitem unterlegen.
    »Gute Nacht, meine süße Jenny«, flüsterte die Stimme in einem seltsamen Singsang dicht an ihrem Ohr, einen Augenblick, bevor alles um sie rot wurde, dann schwarz.

1
    Es war ein schöner Tag zum Sterben.
    Dicke Schneeflocken schwebten in der anbrechenden Morgendämmerung zu Boden, überzogen die Wiese im Park mit einer weißen Decke. Für Julian Kane war es nicht schwer, sich vorzustellen, wie sein vergossenes Blut in dem weißen Schnee aussehen würde.
    Sein Gelächter brach lästerlich die ehrfürchtige Stille der fallenden Flocken. »Was sagst du, Cubby, guter Mann? Sollen wir ein paar Strophen von >Maid, ich muss dich lassen< trällern, um uns unsterblichen Ruhm zu verschaffen?« Er stolperte, als er mit dem Fuß an einem widrigen Erdhügel hängen blieb, was ihn zwang, seinen Arm haltsuchend fester um die Schultern seines Freundes zu legen. »Vielleicht wäre auch >Auf einem Seemannsgrab< passender.«
    Cuthbert wankte nach rechts, rang darum, sowohl Julian zu stützen als auch die flache Kiste aus Mahagoni festzuhalten, die er unter seinen anderen Arm geklemmt hatte. »Lieber nicht, Jules. Mein Kopf tut grässlich weh. Ich kann nicht glauben, dass ich mich von dir dazu habe überreden lassen. Was für ein Sekundant lässt es schließlich zu, dass sein Freund die Nacht vor seinem Duell durchmacht und sich betrinkt? Du hättest mir erlauben sollen, dich zurück auf die Fähre zum Festland zu bringen, solange es noch ging.«
    Julian hob warnend einen Finger. »Schimpf nicht. Wenn ich mir jemanden wünschte, der an mir herumnörgelt, hätte ich geheiratet.«
    Cuthbert schnaubte betrübt. »Wenn du so vernünftig gewesen wärest, dich zu verlieben und ein unglückseliges junges Ding zu heiraten, hätte Wallingford dich nicht dabei erwischen können, wie du während des Balles am Ohr seiner Verlobten geknabbert hast. Und ich läge jetzt gemütlich in meinem Bett, die Füße auf einem heißen Ziegelstein, und könnte von Balletttänzerinnen träumen.«
    »Du beleidigst mich, Cubby! Ich habe noch keine Frau getroffen, in die ich mich nicht verliebt hätte.«
    »Ganz im Gegenteil, du liebst jede Frau, die du triffst. Das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied.« Cuthbert keuchte, als sein Freund ihm auf den Fuß trat. Er hatte beinahe so viele Flaschen von dem billigen Portwein getrunken wie Julian, aber wenigstens konnte er noch ohne fremde Hilfe stehen. Bislang jedenfalls.
    »Psst!« Die Aufforderung seines Freundes, still zu sein, schreckte eine Schar Stare aus den Ästen einer nahen Erle auf. Julian deutete mit einem elegant behandschuhten Finger nach vorne. »Da vorne hinter dem Fichtengehölz lauern sie uns auf.«
    Soweit Cuthbert es erkennen konnte, machten die Herren, die neben der wappenverzierten Stadtkutsche am gegenüberliegenden Rand der Wiese warteten, keinerlei Anstalten zu lauern. Miles Devonforth, der Marquis of Wallingford, ging auf und ab, einen schmalen Graben in den Schnee tretend. Seine Schritte waren exakt bemessen und änderten sich nicht, noch nicht einmal, als er seine Taschenuhr zückte und wütend darauf starrte. Drei Männer begleiteten ihn — zwei Herren in voluminösen Kutschermänteln und eine in strenges Schwarz gekleidete Gestalt.
    Wahrscheinlich ein wenig angesehener Arzt, der sich für Duelle anheuern ließ, dachte Cuthbert grimmig, herbeigerufen, um den Verlierer
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