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Wenn der Wind dich ruft

Wenn der Wind dich ruft

Titel: Wenn der Wind dich ruft
Autoren: Teresa Medeiros
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Ahnungslosigkeit. Sie hatte fast sechs Jahre Zeit gehabt, um zu lernen, die eigentlich unfassbare Wahrheit zu begreifen, aber sie musste dennoch ein erstauntes Keuchen unterdrücken, als seine schlanke Gestalt sich aus dem Grab im Schnee aufgerichtet hatte. Sie wusste genau, was sein Freund gefunden hätte, wenn er nicht rechtzeitig daran gehindert worden wäre. Der dickliche Finger wäre durch Mantel, Überrock, Weste und Hemd geglitten, ohne aufgehalten zu werden, bis er auf die unversehrte Haut über einem Herzen traf, das eigentlich durch die Kugel des Marquis hätte zerfetzt worden sein müssen.
    Portia Cabot zupfte den Schleier an ihrer Hutkrempe gerade. Ein leises Lächeln spielte um ihre vollen Lippen. Sie bereute keinen einzigen Augenblick ihres leichtsinnigen Ausfluges. Sie hatte herausgefunden, dass die Gerüchte mehr waren als eitles Geschwätz.
    Julian Kane war heimgekehrt. Und wenn der Teufel seine Seele holen wollte, dann sollte er sich besser beeilen, wenn er ihr zuvorkommen wollte.

2
    »Hast du völlig den Verstand verloren?«
    Jemand mit einer empfindlicheren Konstitution wäre vielleicht — mit dieser Frage konfrontiert — verschreckt zusammengezuckt, besonders wenn sie derart gebrüllt wurde und von einem so beeindruckenden Exemplar von Mann gestellt wurde wie hier, aber Portia weigerte sich, eingeschüchtert zu sein. Schließlich war es nicht so, dass es sich ihr Schwager zur Gewohnheit gemacht hätte, die Verfassung ihres Verstandes in Frage zu stellen. Das hatte er erst zweimal zuvor getan. Einmal, als sie während des Fagott-Zwischenspiels auf Lady Quattlebaums Mittsommermusikabend einen sechshundert Jahre alten Vampir in die Enge getrieben und nur mit einem Geigenbogen in Schach gehalten hatte, bis Adrian mit seiner Armbrust eintraf. Und erst letzten Monat, als sie nicht einen, sondern gleich zwei Heiratsanträge — beide von gut aussehenden und durchaus wohlsituierten jungen Herrn — abgelehnt hatte.
    Hätte er sie aus Wut angeschrien und nicht aus Sorge, wäre Portia wahrscheinlich stärker beunruhigt gewesen. Doch sie wusste, dass Adrian sie nicht mehr lieben könnte, wäre sie seine Schwester, statt die seiner Ehefrau.
    Diese feste Überzeugung erlaubte es ihr, ihn unbeeindruckt von ihrem Platz auf dem Ohrensessel vor dem Kamin zu betrachten, während er im Empfangssalon seines eleganten Stadthauses in Mayfair auf und ab schritt. Seine Miene war finster wie die eines Unholdes, und ständig fuhr er sich mit den Händen durch sein honigblondes Haar, bis es eher der Mähne eines Löwen glich als der Frisur eines Mitgliedes der guten Gesellschaft.
    Auf dem Absatz eines seiner glänzend polierten Stiefel drehte er sich zu ihr um und wies mit dem Finger in ihre Richtung. »Es mag sein, dass du dabei bist, deinen Verstand zu verlieren, aber ich bin noch im vollsten Besitz meiner geistigen Kräfte. Und wenn du auch nur eine Minute glaubst, ich würde es zulassen, dass du dich in eine derartige Gefahr begibst, dann irrst du dich gewaltig.«
    »Ich habe nicht vor, mich in irgendeine wie auch immer geartete Gefahr zu begeben«, erwiderte sie ruhig. »Jetzt, da ich ihn aufgespürt habe, möchte ich mich einfach nur mit deinem Bruder unterhalten.«
    Caroline, ihre älteste Schwester, die bislang schweigend auf dem Brokatsofa gesessen hatte, erhob sich und ging zu ihrem Mann, hakte sich bei ihm unter. Ihr Bauch begann sich langsam über ihrem zweiten Kind zu runden, und ihr blassblondes Haar war zu einem eleganten Haarknoten aufgesteckt. Eigentlich könnte sie wie eine sanftmütige Madonna aussehen, doch der Humor und die Intelligenz in ihren grauen Augen verhinderten das. »Adrian hat Recht, Liebes. Es ist viel zu riskant. Erinnerst du dich nicht, was letztes Mal geschehen ist, als du versucht hast, ihm zu helfen? Du bist fast gestorben.«
    »Er ist fast gestorben«, korrigierte Portia sie. »Ich habe ihn gerettet.«
    Adrian und Caroline tauschten einen Blick, aber Portia presste die Lippen entschlossen zusammen. Sie hatte niemandem erzählt, was genau sich vor beinahe sechs Jahren in der Gruft ereignet hatte. Und sie hatte nicht vor, daran jetzt etwas zu ändern.
    »Ich weiß, du hast viele schlaflose Nächte damit verbracht, dich um Julian zu sorgen«, erklärte Caroline. »Das haben wir alle . Aber du musst auch an die Gefahr für dich denken.«
    »Ein bisschen Gefahr hat dich nicht von Adrian ferngehalten, als alle Welt noch dachte, er sei ein Vampir.«
    »Für den Fall, dass du es vergessen
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