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Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)

Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)

Titel: Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)
Autoren: Sandra Hoffmann
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leichter machen, wenn er verraten würde, warum er Deutsch konnte. Dann müsste er von Mutter erzählen, und wo sie wohnten, und von Mili. Ein zweites Mal überlebte Mili so einen Überfall nicht. Auch wenn die Mutter stark wäre, Mili hielte das nicht noch einmal aus. Er sah den sechzehnjährigen Janek, der noch nicht Bili ń ski war, der erst mit den Nächten unterm Scheunendach und den Tagen auf dem Hof und im Wald, durch die Verachtung und die Angst, zu Bili ń ski werden würde. Jene, die ihm Angst einflößen wollten, wussten, wenn sie ihn beim Vornamen nannten, dann meinten sie ihn, den großen Jungen, der vorhatte, der sogar sicher war, einmal ein großer, ein großartiger Autobauer zu werden. Ein Architekt ist auch ein Bauer. Bili ń ski, das war ein hergelaufener Polack, der froh sein konnte, dass er Zwangsarbeiter auf einem Hof geworden ist und nicht einer in der Seifenfabrik, wo er den Blicken der Aufseher, den fiesen kleinen Qualen, dem Gestank der Gemeinschaftsbaracken und den schnarchenden Nächten ausgesetzt gewesen wäre. Die Blicke dieses spitzbärtigen Drecksfranken wanderten über seinen Körper, er spürte sie schwer auf sich liegen, obwohl er ihm den Rücken zuwandte. Die Wand in der Kammer verlor an drei Stellen Putz und war außerdem voller Fliegenschisse, kleine braune Punkte sprenkelten den Verputz und das Fenster, das auf den Hof hinterm Haus hinabschaute. Er legte das Hemd zusammen. Das Unterhemd war zu weit, er hatte es von seinem Vater, aber das war wieder eine andere Geschichte. Das Unterhemd wollte er nicht ausziehen, deshalb bückte er sich nun hinab zu den Schuhen, in deren Senkeln noch Kletten und Dornranken hingen, er zupfte sie heraus, da hörte er hinter sich eine Bewegung und etwas Hartes rammte sich in seinen Schritt, er schrie auf. Der Gewehrkolben rieb hin und her zwischen seinen Oberschenkeln, die er zusammengeklemmt hatte, unwillkürlich hob er sich auf die Zehenspitzen. Der Franke keckerte hässlich: Mach voran. Der Gewehrlauf folgte ihm in die Höhe.
    Tun Sie das weg, schrie Janek.
    Setz dich doch drauf, der Franke lachte hämisch. Schöne Stange, sagte der Franke und drückte den Kolben gegen Janeks Hoden, und Janek versuchte ein Bein anzuheben, um darüberzusteigen, aber der Kolben rückte hinterher. Er gab nach, bückte sich, zwischen den Beinen, die inzwischen mehr wackelten als zitterten, dieses Scheißgewehr, hinter sich, und so nah, dass er ihn atmen hörte, das fränkische Arschgesicht, und Janek löste die Schnürsenkel, richtete sich auf, half sich mit den Füßen aus den Schuhen und öffnete den Hosenknopf. Er sah auf die Fliegenschisse und suchte sich den größten aus, eins, zählte um den großen Fliegenschiss herum immer in Richtung Loch in der Wand, damit er die Orientierung nicht verlor, neunzehn, wahrscheinlich übersah er jede Menge kleiner Schisse, aber das war egal, er konnte ja nur die zählen, die er mit seinen Augen und aus dieser Position sah, fünfundzwanzig, da musste er sich bücken, weil die Hose an seinen Zehen hängen geblieben war; Pause einlegen, er hob die Hose vom Boden, der Gewehrlauf hatte längst wieder seinen alten Platz eingenommen, nur war es nun besonders unangenehm, weil er das kühle Metall durch den etwas zerschlissenen Stoff der Unterhose spürte, aber er wusste, je mehr er nun sagen würde, desto gemeiner würde diese Drecksau mit ihm umgehen. Er hängte die Hose an den Haken. Siebenundzwanzig, achtundzwanzig.
    Na also, sagte die Sau.
    Socken, fragte Janek, neunundzwanzig, dreißig, einunddreißig.
    Ausziehen!
    Niemals hatte er so ein ekelhaftes hämisches Lachen gehört, so ein gieriges Wichserlachen. Zweiunddreißig. Janek bückte sich. Der Gewehrkolben drückte sich gegen sein Geschlecht und ließ ihn nach oben schnellen. Er stand aufrecht. Dreiunddreißig.
    Hemd aus!
    Vierunddreißig, fünfunddreißig, seine Arme hoben sich, seine Daumen zeigten schon gegen die Schultern, berührten das Schlüsselbein und, siebenunddreißig, zweitgrößter Mückenschiss, die Hände zogen die Träger des Vaterhemdes nach oben. Achtunddreißig, neununddreißig, er durfte die Orientierung nicht verlieren, links neben der obersten Kante des Loches in der Wand ging es weiter. Vierzig wäre das dann. Er zog das Hemd über den Kopf, roch sich selbst, sauer und warm, obwohl ihm so eiskalt war, blieb hängen in seinem eigenen Geruch. Jetzt so bleiben, Kopf im Hemd.
    Los jetzt! Der Gewehrkolben hatte seinen ursprünglichen Ort verlassen und stieß
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