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Der Geist des Nasredin Effendi

Der Geist des Nasredin Effendi

Titel: Der Geist des Nasredin Effendi
Autoren: Alexander Kröger
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In Chiwa

    Ganz langsam drang da etwas in sein Bewußtsein. Es war, als zersprängen Wassertropfen auf heißem Stein und jedes Kügelchen verzischte mit eigenem Geräusch. Da murmelten Stimmen, ein Esel schrie, von dorther scholl das Knirschen eisenbeschlagener Räder auf Kies. Auch undefinierbares Brummen war zu hören. All das aber klang wie unter einem Tontopf hervor, gedämpft, entfernt, unwirklich.
     Und dann war alles wieder vorbei, bis auf ein dumpfes Rauschen vielleicht, von dem man nicht wußte, ob es von außen oder von innen aus dem Kopf kam. Es schien, als bildete sich irgendwo einer jener Tropfen neu, würde schwerer und schwerer, bis er sich schließlich löste und abermals auf dem Stein zerschellte; denn wieder und wieder sprangen die Geräusche auf.
     Zu irgendeinem Zeitpunkt wurde ihm bewußt, daß sich der Abstand zwischen den Tropfen verringerte, als bahnte sich das Wasser mehr und mehr Durchgang durch ein löchriges Gefäß.
     Und plötzlich gellte eine schrille Frauenstimme: »Willst du wohl den Apfel zurücklegen, du Schlingel!«
    Ein Kind rief: »Aua!«
    Gelächter kam auf.
    Dann drängte ein Mann: »He, Onkelchen, wach endlich auf. Dein Zeug ist sonst verschwunden, bevor du eine einzige Kopeke dafür eingenommen hast.«
     Und wieder die Frau: »Dieser Gottlose wird sich einen angetrunken haben. Und Allah straft ihn mit einem Brummschädel, kein Auge kriegt er auf. Schaut ihn euch an, Leute, diesen Taugenichts.«
     Auf einmal rief der Mann in einem anderen Tonfall: »Komm, kauf! Der beste Wein, die besten Granatäpfel von Chiwa. Süß und billig, eingefangene Sonne!« Und nach einer kleinen Weile murmelte er: »Der Scheitan soll dich holen!«
     »He, wach auf, du Taugenichts!« Diesmal war die Stimme des Mannes barscher, vielleicht vor Ärger, weil ein Käufer seine Ware verschmäht hatte.
     »Dummkopf!« sagte die Frau gedämpft. »Seine Granatäpfel sind viel schöner als unsere, und er hat angeschrieben, dieser Esel, daß er fürs Kilo nur zwei Rubel haben will. Der schnappt uns die Käufer weg. Laß ihn also in Ruhe, wenn Allah ihn schon mit Dummheit geschlagen hat.«
    Basar, ich bin auf dem Basar!
     Das Dumpfe im Kopf war geschwunden. In aller Schärfe drangen die Geräusche der Umgebung auf den Mann ein. Gefeilsche in der Nachbarschaft. Anpreisen von Granatäpfeln, wie sie schöner auf Gottes Erdboden nie gewachsen sind, Melonen, Gewürze… Ah! Gewürze! Und sofort verspürte er ihren Duft, glaubte die Aromen zu schmecken. Und einmal gerochen, gab’s da noch mehr: Tabakrauch, Eselsdung und ein wenig Schweiß. Über dem Ganzen lagen dumpfes Gemurmel, das Schlurfen unzähliger Schritte und Staub, den man ebenfalls roch. Basar!
    Basar?
     Eine siedende Welle durchfloß den Mann, gab Kraft, die schweren Augenlider hochzureißen und sich kerzengerade aufzurichten. Gleichzeitig, wie im Reflex, flogen die Hände an den Hals, als wollten sie würgen…
     Eine Flut von Eindrücken ergoß sich über den, der da, gelehnt an eine Mauer, inmitten bester, ausgebreiteter Früchte saß.
     Das nahm der Mann zuerst wahr, aber auch eine wogende Menge Menschen, die zwischen den Ständen und Waren, Eseln und Karren auf und ab defilierten, bunt gemischt, wie stets auf einem großen Basar!
    Wie stets?
    Da gab es etwas Störendes, Fremdes…
     Ah, aus der Menge zwei Frauenaugen – Frauenaugen! –, umrahmt von einem bunten russischen Kopftuch. Augen, die sich sofort von ihm wandten, als ihr Blick den seinen traf. Ihm war noch, als lächelte das Gesicht, zu dem diese Augen gehörten, lächelte befreit, glücklich…
     Aber was im Augenblick alles überwog, Basar und Menschen, Früchte und, o Allah, unbedeckte, liebliche Frauengesichter, was alles zu einem flüchtigen Streiflicht, einer Traumsekunde, machte, war die Bewußtheit: Ich lebe ja, ich lebe!
     Sein Hals saß fest auf den Schultern; er hörte, sah und konnte riechen!
    Kaum hatte er den freudigen Schreck genossen, kam mit niederschmetternder Wucht die Angst. Er riß den Kopf nach links, nach rechts, gewärtig, daß dieser vielleicht doch noch herunterfiele, aber mehr darauf gefaßt, die Faltstiefel und Pluderhosen der Häscher neben sich zu erblicken, Männer, die sich – wie die Katze mit der Maus – mit ihm einen Spaß, einen letzten Spaß, verschafften.
     Aber noch gewahrte er diese typischen Kleidungsstücke nicht, sah keine Spitze eines herabhängenden Krummsäbels. Rechts neben ihm kauerte das ältere Ehepaar hinter einer sehr
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