Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Geist des Nasredin Effendi

Der Geist des Nasredin Effendi

Titel: Der Geist des Nasredin Effendi
Autoren: Alexander Kröger
Vom Netzwerk:
beobachten, zu erforschen, wie sich Eingeleitetes vollenden würde. Und sie hätte zu gern ge wußt, was wohl der Brief enthielt, den Gusal gleich nach der Landung Nasreddin übergeben und den jener so unachtsam in den Anzug gesteckt hatte. Aber sie hatte sich ausbedungen, daß sie nicht dabeisein würde, wenn ihn seine Leute, wie sie sich bewußt ausgedrückt hatte, vom Flugplatz abholen würden…
     Gusal redete auf Nasreddin mit ihrer sanften, unaufdringlichen Stimme ein. Sie berichtete von vielen im Grunde nichtigen Begebenheiten, die sich während seiner Abwesenheit im Kolchos zugetragen hatten. Er hörte ihr zu, ohne immer zu erfassen, wovon sie sprach, ohne immer in der Lage zu sein, ihr zu antworten oder das Gehörte zu kommentieren. Aber das erwartete sie nicht.
     Er hielt im Bus, der sie zur Stadt brachte, ihre Hand, und sie tat, als bemerke sie es nicht. Auf dem Lastwagen, auf dem sie ins Dorf fuhren, zog es, und sie kuschelte sich an ihn, und noch immer erzählte sie. Und wie selbstverständlich schlugen sie den Weg zum Haus ein, zu ihrem Haus. Nasreddin tat, als gewahre er ihr Zögern, das sekundenlange Versiegen des Redestroms nicht, da sie die Weggabelung passierten, an der er hätte zu seinem Quartier abbiegen müssen…
    Erst später, am Abend, dachte er an den Brief.
     Nasreddin saß im Hof, den Kopf an den Granatapfelbaum gelehnt, seine Gedanken gingen träge, er erinnerte sich der letzten Stunden, dachte an die kleinen Szenen der Verlegenheit, die er überspielte, er lächelte – und der Brief fiel ihm ein.
    Er zog den schon etwas geknitterten hervor, las den Absender, »Intourist« lautete der, und er zog erstaunt die Augenbrauen hoch. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß er tat sächlich an ihn gerichtet war, rief er Gusal, die sich im Haus mit dem Geschirr beschäftigte. Sie kam, kauerte sich zu seinen Füßen.
     Er öffnete umständlich das Kuvert und begann stockend laut zu lesen:

    »Werter Genosse Nasreddinow!
    Wir wenden uns mit folgendem Anliegen, eigentlich einer Bitte an Sie: Übernehmen Sie die Funktion eines Gruppenleiters der Touristenführer in Chiwa!
     Unser langjähriger bewährter Genosse Jussuf Jussubow ist in Rente gegangen, und er wird aus Chiwa verziehen. Der Abteilungsleiter für Kultur des Rayonkomitees empfiehlt Sie als würdigen Nachfolger. Wir haben uns erlaubt, mit dem Vorsitzenden Ihres Kolchos Einverständnis zu erzielen, falls Sie sich entscheiden könnten, das Angebot anzunehmen, worum wir Sie herzlich bitten.
    Mit sozialistischem Gruß
    Schakarow, Leiter des Büros Intourist in Chiwa

    Anmerkung: Sie könnten ab 1. Oktober die frei werdende Wohnung der Jussubows übernehmen!«

    Nasreddin ließ den Brief sinken. Gusal hatte den Kopf leicht an seine Brust gelehnt, und sie sah nun mit großen Augen zu ihm hoch, aber er bemerkte es nicht. Er sah starr geradeaus und strich ihr mehr unbewußt sanft übers Haar.
    So saßen sie eine lange Zeit.
     Dann kehrte sein Blick zurück, fand den ihren. »Sag, daß ich nicht träume!« flüsterte er. »Sag, daß ich nicht träume«, rief er. Und da packte er sie bei den Schultern, hielt sie von sich, sah ihr ins Gesicht, drückte die Willfährige an die Brust, verharrte.
    Dann schob er sie erneut von sich, suchte abermals ihren Blick und fragte mit ein wenig bebender Stimme und mit Schalk in den Augen: »Wie viele Tage sind noch bis zum ersten Oktober?«
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher