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Der Geist des Nasredin Effendi

Der Geist des Nasredin Effendi

Titel: Der Geist des Nasredin Effendi
Autoren: Alexander Kröger
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ungeängstigt, könnte über dich lachen, großer Herrscher, wenn ihm danach zumute wäre. Weißt du noch, wie du geprahlt hast, als du in einer Laune die zweihundert Gefangenen in der Wüste in ein sehr ungewisses Schicksal getrieben hast; du meintest, wer weiß was für einen Gnadenakt damit begangen zu haben. Ein Schnalzen deiner Finger, und man hätte die Gefangenen geköpft, gespießt, ihre Leiber als Bewehrung ein gemauert, sie gebraten oder den Ratten zum Fraß vorgeworfen…
     Nasreddins Blick ging nach oben in die Erhabenheit der Kuppel, in der die leuchtende Goldornamentik sich in ein sattes, verschwommenes Glühen verlor. Im Grunde genommen bist du es nicht wert, dieses Gold, das die Nachwelt dir noch opfert, Timurlenk! Nein, nicht dir, deinem Mausoleum, das du befohlen, aber nicht gebaut, in deiner Prahlsucht sogar beinahe noch verhindert hättest! Weißt du noch, als du den Rohbau besichtigtest, im Kopf bereits die Gedanken, wie du dir das Reich der Mitte untertan machen würdest, überlegend, ob du die neunzigtausend in Bagdad abgeschlagenen durch Pekinger Köpfe übertrumpfen würdest, weißt du, daß dir dieser Bau nicht hoch, nicht mächtig genug war? Erinnerst du dich, wie du dem Meister, was sage ich, dem Künstler wütend gedroht hast, den Kopf abzuschlagen, wenn er die fehlende Höhe nicht binnen zweier Wochen wettmache. Wie du zu mir herlachtest, hochmütig, Schadenfreude im Gesicht. »Wenn du mich nicht erinnerst, Nasreddin, heute in zwei Wochen, wird man deinen Kopf mit dem seinen verwechseln!«
    Ein Spaß, Timurlenk, nicht wahr? Einen Scherz hast du mit mir gemacht. Keiner hat es erfahren, denn der Meister schaffte es. Und ich bin jeden Tag hierhergekommen, um mich vom Fortgang der Arbeiten zu überzeugen. Sie haben den Rohbau der Kuppel wie die Berserker eingerissen, haben Tag und Nacht – hoch loderten die Feuer, die nachts das Licht gaben – gemauert und den Tambour um die Länge zweier Männer erhöht. Entzündete Augen und blutige Hände hatten sie, aber ihr Kopf blieb auf dem Hals, und du bekamst dein Mausoleum, das du – Allahs Strafe –, so wie ich heute weiß, in seiner grandiosen Vollendung gar nicht mehr erlebt hast. Aber das Gold da und die Bewunderung, Timur, sind nicht für dich. Es gebührt ihnen, in deren Köpfen das entstand, unter deren Händen es sich formte. Du hast nur Blut und Tränen der Unzähligen beigesteuert.
     Nasreddin ließ sich im Halbschatten einer Nische auf Treppenstufen nieder. So saß er lange, und Bilder zogen in seiner Erinnerung vorüber aus jenen Tagen, da dieser Bau, den sie heute Gur-Emir nannten, entstand. Und er glaubte selbst einige Gesichter der Tausende wiederzuerkennen, die Ziegel trugen, Mörtel rührten, die Gerüststangen setzten, ernste, verbissene Gesichter, schweißnaß und staubig…
     Die wenigen Besucher, die um diese Zeit das Mausoleum besuchten, nahmen den Mann in der Nische kaum wahr, und wenn, meinten sie wohl, es sei einer, den die Kühle des Gemäuers zur Rast verlockt hatte, der vor der Hitze draußen Schutz suchte. Alle, die kamen und vielleicht bedauerten, daß das Licht im Raum nicht ausreichte, um das alles schnell auf den Film zu bannen, ahnten nicht, daß der kräftige Einheimische dort die Diapositive und Filme mit seinem Kommentar zu einer Sensation hätte machen können.
     Als Nasreddin sich später entfernte, warf er nur noch einen flüchtigen Blick auf den Sarkophag, und als er auf dem Hof stand, atmete er kräftig in tiefen Zügen. Dabei genoß er die heiße, leicht nach Auspuffgasen riechende Luft wie ein Verdurstender das Wasser eines klaren Bergflusses.
    Nachdem Nasreddin durch das Tor getreten war, brauchte er einen Augenblick der Orientierung. Statt auf Blumenbeete und prächtige Bäume auf eine lehmgelbe Straße mit buckligen Häusern gegenüber zu treffen, das konnte schon verwirren. Deine Gärten, Samarkand, die dich so berühmt machten wie deine Moscheen, deine Kuppeln, wohin sind sie? Doch dann lächelte er. So alt wie du, Nasreddin, wird kein Baum, kein Strauch, keine Blume…
     Er wandte sich zum Hotel, und davor der Park mit seinen weitausladenden Bäumen, seinen Wacholderbüschen, von denen jeder seine eigene Wasserleitung hatte, bewies ihm, daß die heutigen Samarkander das Grün in ihrer Stadt genauso zu schätzen wußten wie die vor fünfhundert Jahren.
     In der Halle erwartete Nasreddin eine Überraschung: Anora unterhielt sich intensiv mit einem breitschultrigen, untersetzten Mann, einem
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