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Der Geist des Nasredin Effendi

Der Geist des Nasredin Effendi

Titel: Der Geist des Nasredin Effendi
Autoren: Alexander Kröger
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auf Anora zu und hob ein wenig unschlüssig die Schultern. »Ich müßte ein wenig Gewalt anwenden, wenn die Miliz…« Er blickte von einem zum anderen.
     Boderow winkte heftig ab. »Quatsch«, sagte er. »Ich zeige meinen Ausweis. Ich habe eine Dauergenehmigung – mach schon, was ist es…«
     Nasreddin lächelte, nickte betont, spielte den Überlegenen. Er hob die Hand Boderow entgegen, als wollte er beschwichtigend sagen: Gemach! Gemach! Dann wies er in die Mauerecke auf einen Vorsprung. »Der Stein muß weg.«
     Boderow stutzte, er musterte das Bauwerk eingehend. »Dieses ist der Pfeiler«, murmelte er und ergänzte das Fehlende, indem er die flachen Hände auf und nieder bewegte. »Hier hört er auf, und da beginnt die Mauer. Was aber soll in der Ecke der Sockel? Der ist doch unnötig!«
     »Ist er nicht«, behauptete Nasreddin, und es schien, als wolle er etwas hervorsprudeln, so voller Eifer war sein Gesicht. Mit Mühe hielt er sich zurück.
     »Baulich ist er unnötig«, Boderow bestand auf seiner Meinung.
    »Baulich vielleicht«, gab Nasreddin zu.
     »Mann, spann uns nicht so auf die Folter«, rief Boderow. Schweiß stand auf seiner Stirn.
     Nasreddin hob die Schultern. »Der Ziegel muß weg«, sagte er.
     »Also weg mit dem Ziegel!« Boderow hieb mit dem Absatz dagegen. Es splitterte trockener Lehm, aber der Ziegel rührte sich nicht. »Ich brauche einen Hammer, einen Hammer«, rief er, und er blickte in die Runde mit einem Gesicht, als geschähe im nächsten Augenblick Fürchterliches, wenn er nicht einen Hammer bekäme. Sein Blick fiel auf einen kindskopfgroßen Kieselstein. Behend griff er den und begann auf den widerspenstigen Ziegel einzuklopfen, daß es stäubte.
     Nasreddin stand mit verschränkten Armen, mit wissendem, verschmitztem Gesicht.
     Anora befand sich halb in der Hocke, achtete nicht auf den verschobenen Rock, ihr Gesicht hatte sich gerötet, und es war ihr unschwer anzusehen, daß auch sie das Archäologenfieber gepackt hatte.
     »Seid ihr des Teufels, ihr Verfluchten!« schallte es da hinter ihnen.
     Der einzige, der nicht zusammenschrak, war Nasreddin. Boderow hielt mitten im Ausholen inne und riß den Kopf nach oben. Anora fiel aus ihrer instabilen Haltung auf die Knie und stieß einen Laut der Überraschung aus.
    Hinter ihnen stand ein hagerer Alter mit einer IntouristMütze auf dem Kopf und drei, vier blank geputzten Orden an der Brust. Ganz offensichtlich ein Wächter. »Ich hole die Miliz, ich hole die Miliz, so eine Unverschämtheit, am hellichten Tag. Du solltest dich schämen, du alter Gauner!« stieß er aufgeregt hervor und ging auf Boderow zu, in der Absicht, ihn zu packen.
     Im Grunde war es eine lächerliche Szene. Der nicht sehr große dürre Alte und der vierschrötige Boderow. Aber der ließ den Stein fallen, richtete sich auf, trat einen Schritt zurück, um den Abstand zwischen sich und dem Alten zu vergrößern. Dann sagte er: »Schon gut, schon gut, Väterchen. Beruhige dich, das hat alles seine Ordnung.« Er klopfte sich den Staub von den Händen und faßte in seine Jacke.
     Der Alte jedoch beruhigte sich nicht, er blieb lediglich stehen und wetterte weiter. Ob die Frevler nicht wüßten, was das für ein Heiligtum sei, daß es über fünfhundert Jahre stünde und es nun Unholde mit Gewalt zerstörten. Und für solche hätte er gegen die Faschisten gekämpft. An dieser Stelle spuckte er kräftig aus und rief: »Pfui Teufel!« Millionen gäbe die Sowjetmacht aus, damit die Menschen noch lange etwas davon hätten, und schließlich müßten es alle mit ihrem Schweiß bezahlen.
     Boderow hatte sein Papier gefunden. Er hielt es dem Alten hin, der es auch nahm, aber nicht hineinsah, sondern damit auf und nieder fuchtelte, seine grimmigen Worte unterstreichend. Einige Leute, die sich in der Nähe befanden, traten neugierig näher, und einige von ihnen begannen zu kommentieren, wobei unschwer festzustellen war, daß sie Partei für den Wächter ergriffen.
    Da schaltete sich Anora ein. Sie legte dem Alten beruhigend eine Hand auf den Arm, nahm ihm mit der anderen das Papier ab, faltete es auseinander und sagte sanft: »Aber sehen Sie sich das doch einmal an, Bürger, bitte!« Und sie hielt dem Erregten das Papier genau vor das Gesicht, und jedesmal, wenn jener seinen wütenden Blick auf den Steinklopfer Boderow, den er offenbar für den größten Unhold hielt, richten wollte, schwenkte Anora das Papier mit.
     Schließlich griff er unwillig danach, brummelte
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