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Sanft kommt der Tod

Sanft kommt der Tod

Titel: Sanft kommt der Tod
Autoren: Nora Roberts J.D. Robb
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    Unangekündigte Tests waren einfach mörderisch. Wie Heckenschützen erfüllten sie die Opfer mit Furcht und Abscheu, den Jäger hingegen mit einem gewissen schwindelerregenden Gefühl der Macht.
    Als Craig Foster in die Mittagspause ging, um dort den Test noch einmal durchzugehen, wusste er genau, wie sein Geschichtskurs der fünften Klasse reagieren würde. Die Kinder würden stöhnen oder leise keuchen, unglücklich die Gesichter verziehen oder in nackte Panik ausbrechen. Was er sehr gut verstand. Schließlich hatte er mit seinen sechsundzwanzig Jahren längst noch nicht vergessen, welchen Schmerz und welche Angst man als Schüler vor Prüfungen empfand.
    Er packte den Thermosbehälter mit seinem Mittagessen aus. Er war ein Gewohnheitsmensch und wusste, seine Frau hätte ihm ein Geflügelsandwich, einen Apfel, ein paar Sojafritten sowie seine geliebte heiße Schokolade eingepackt. War es nicht fantastisch, verheiratet zu sein?
    Er hatte sie noch nie darum gebeten, ihm ein Lunchpaket zu machen oder dafür zu sorgen, dass er immer frisch gewaschene und ordentlich paarweise zusammengelegte Socken in der rechten Hälfte der obersten Schublade seiner Kommode fand. Sie sagte einfach, sie täte das gern für ihn.
    Die sieben Monate seit ihrer Trauung waren die schönsten seines Lebens gewesen. Dabei hatte er es vorher auch nicht gerade schlecht gehabt.
    Er hatte eine Arbeit, die er liebte und auch ausgezeichnet machte, dachte er mit einem Anflug von Stolz. Er und Lissette hatten ein mehr als anständiges Apartment, von dem aus er in wenigen Minuten zu Fuß zur Schule kam. Seine Schüler und Schülerinnen waren aufgeweckt und interessant und, was das Allerbeste war, er war bei ihnen ausnehmend beliebt.
    Natürlich würden sie wegen des Tests ein wenig murren und vielleicht auch schwitzen, doch sie kämen ganz bestimmt damit zurecht.
    Bevor er sich an die Arbeit machte, schickte er noch eine kurze Mail an seine Braut.
     
    Hey, Lissy!
    Was hältst du davon, wenn ich heute Abend auf dem Heimweg einen großen Salat und die Suppe hole, die du so gerne isst?
    Ich vermisse dich und liebe jeden süßen Zentimeter von dir!
    Du weißt schon, wer.
     
    Er musste grinsen, als er daran dachte, wie sie lächeln würde, wenn sie diese Nachricht läse, wandte sich dann aber wieder seiner Arbeit zu und blickte auf den Bildschirm, als er sich die erste Tasse heißer Schokolade in den Becher schenkte und in das mit dünnen Sojascheiben, die sich als Geflügelbrust ausgaben, gefüllte Sandwich biss.
    Es gab so viel zu lehren und so viel zu lernen. Die Geschichte dieses Landes war dramatisch, vielfältig und reich an Tragödien, Komödien, Romantik, Heldentum, Feigheit und Verrat. All das wollte er seinen Schülern nahebringen, wollte ihnen zeigen, wie die Welt, in der sie lebten, sich zu dem entwickelt hatte, was sie jetzt, in den ersten Monaten des Jahres 2060, war.
    Er aß, löschte ein paar Fragen, fügte andere ein und trank einen großen Schluck seiner geliebten heißen Schokolade, während lautlos blütenweißer Schnee vor dem Fenster seines Klassenzimmers auf die Erde fiel.
    Während seine eigene kurze Geschichte ihrem Ende von Minute zu Minute näher kam.
     
    Sie bekam noch immer Zustände, wenn sie in eine Schule kam. Was für einen zähen, toughen Cop ziemlich blamabel war. Trotzdem war es so. Lieutenant Eve Dallas, eindeutig die beste und bekannteste Ermittlerin in Mordsachen von ganz New York, wäre lieber auf der Suche nach einem psychotischen Junkie auf Zeus durch eine verlassene Fabrikhalle gestapft als durch die jungfräulichen Flure der eindeutig der oberen Mittelklasse verschriebenen Sarah Child Akademie.
    Trotz der in freundlichen Primärfarben gestrichenen Fußböden und Wände und der blank geputzten Fenster kam Eve das Gebäude wie die reinste Folterkammer vor.
    In den meisten Räumen, deren Türen offen standen, war außer Tischen, Stühlen, Bildschirmen und Tafeln nichts zu sehen.
    Eve blickte auf Rektorin Arnette Mosebly, eine leicht gedrungene, beinahe statuenhafte Frau von vielleicht fünfzig Jahren, mit dank ihres gemischtrassigen Erbes rauchig blauen Augen und karamellfarbener Haut. Ihr schimmernd schwarzes Haar fiel in dichten Korkenzieherlöckchen um ihr etwas strenges Gesicht, sie trug einen langen schwarzen Rock unter einer kurzen roten Jacke, und die Absätze ihrer vernünftigen Schuhe klackerten vernehmlich auf dem Boden, als sie neben Eve den Flur im ersten Stock hinunterlief.
    »Wo sind die
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