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Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Titel: Snack Daddys Abenteuerliche Reise
Autoren: Gary Shteyngart
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PROLOG
    Von wo aus ich anrufe
     
    Dies ist ein Buch über die Liebe. Mit der prallen russischen Gefühlsseligkeit, die als echte Herzenswärme durchgeht, widme ich die folgenden 373 Seiten meinem Geliebten Herrn Papa, der Stadt New York, meiner süßen, verarmten Freundin in der South Bronx und der US -Einwanderungsbehörde.
    Außerdem ist dies ein Buch über
zu viel
Liebe. Es ist ein Buch über das Verarschtwerden. Um es gleich vorweg zu sagen:
Ich bin verarscht worden
. Sie haben mich benutzt. Mich ausgenutzt. Mich abgecheckt. Haben gleich gewusst: Ich bin der Mann, den sie zum Affen machen können. Falls »Mann« hier das richtige Wort ist.
    Vielleicht ist dieses ganze Verarschbarkeits-Ding genetisch. Ich denke da an meine Großmutter. Sie war eine glühende Stalinistin und treue Mitarbeiterin der Leningrader
Prawda
, bis Alzheimer ihr an Grips nahm, was noch übrig war, und sie hatte die berühmte Allegorie von Stalin als Bergadler verfasst, der ins Tal herabstieß, sich drei imperialistische Dachse zu greifen, Großbritannien, Amerika und Frankreich, deren magere Körper in den blutigen Krallen des Generalissimo in Stücke gerissen wurden. Es gibt ein Bild von mir als Baby auf Omas Schoß. Ich sabbere sie voll. Sie sabbert mich voll. Man schreibt das Jahr 1975, und wir sehen beide völlig gaga aus. Nun sieh nur, was aus mir geworden ist, Oma. Siehst du die Zahnlücken und den kaputten Unterleib? Was sie meinem Herzen angetan haben, diesem zerquetschten Kilo Fett, das an meinem Brustbein baumelt? Für die Aufgabe, sich im 21. Jahrhundert in Stücke reißen zu lassen, empfehle ich mich als der vierte Dachs.
    Dies schreibe ich in Davidovo, einem kleinen Dorf nahe der Nordgrenze der ehemaligen Sowjetrepublik Absurdsvanï, bevölkert ausschließlich von den so genannten Bergjuden. Ach, die Bergjuden! In ihrer weltfernen Abgeschiedenheit hinter den sieben Bergen und ihrer starrsinnigen Hingabe an die Sippe und Jehova erscheinen sie mir
prähistorisch
, noch nicht einmal wie Säugetiere, sie erinnern mich eher an schlaue Mini-Dinosaurier, die sich einst über die Erde quälten, Vertreter der Gattung
Chaimosaurus Rex
.
    Es ist früh im September. Das Blau des Himmels ist unerschütterlich, seine Leere und Grenzenlosigkeit erinnern mich daran, weiß auch nicht wie, dass wir uns auf einem kleinen runden Planeten befinden, der sich seinen Weg Zentimeter für Zentimeter durch ein schreckliches Nichts bahnt. In ihrem Schlaf auf den Dachfirsten der weitläufigen Rotklinkeranwesen richten sich die Satellitenschüsseln des Dorfes auf die Berge der Umgebung aus, deren Gipfel zartes Alpenweiß bekrönt. Eine sanfte Spätsommerbrise kühlt meine Wunden, und selbst der gelegentliche streunende Köter tapert so ruhig und zufrieden daher, als würde er morgen in die Schweiz auswandern.
    Das ganze Dorf hat sich um mich versammelt, die vertrockneten Senioren, die öligen Teenager, die einheimischen Schwerverbrecher mit sowjetischen Gefängnistätowierungen auf den Fingern (frühere Freunde meines Geliebten Herrn Papa), selbst der verwirrte einäugige Greis von einem Rabbi weint nun an meiner Schulter und wispert mir in seinem schlechten Russisch zu, was für eine Ehre es sei, einen bedeutenden Juden wie mich in seinem Dorf zu wissen, und wie gern er mich mit Spinatküchlein und Hammelbraten wieder aufpäppeln würde, um mir dann im Dorf eine gute Frau zu suchen, die mir einen bläst und mich stopft, bis mein Bauch aussieht wie ein Gummiball kurz vorm Platzen.
     
     
    Ich bin ein tief ungläubiger Jude und finde weder in Nationalismus noch Religion meinen Frieden. Aber hier unter diesen seltsamen Abkömmlingen meiner Rasse packt mich nun doch ein Wohlgefühl. Die Bergjuden verhätscheln und verwöhnen mich; ihr Spinat ist saftig und nimmt all ihren Knoblauch und ihre zerlassene Butter auf.
    Und doch sehne ich mich danach, in die Lüfte zu steigen.
    Quer über den Globus zu brausen.
    Auf der 173. Straße zu landen, an der Ecke Vyse Avenue, wo sie auf mich wartet.
    Mein hochmögender Psychoanalytiker Dr. Levine (Park Avenue!) hat mich schon beinahe von der Vorstellung befreit, dass ich fliegen kann. »Wir wollen auf dem Boden bleiben«, so sagt er gern. »Wir wollen uns auf das Mögliche beschränken.« Kluge Worte, Herr Doktor, aber vielleicht haben Sie es einfach noch nicht geschnallt.
    Ich bilde mir nicht ein, ich könnte fliegen wie ein anmutiger Vogel oder ein toller amerikanischer Superheld. Ich fliege wohl eher so, wie ich alles
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