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Der Geist des Nasredin Effendi

Der Geist des Nasredin Effendi

Titel: Der Geist des Nasredin Effendi
Autoren: Alexander Kröger
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hatte, hieb er sich mit der flachen Hand an den Kopf, daß es bis weit in die Felder schallte. »Es scheint, der größere Esel von uns beiden bin ich«, rief er laut. Unten in den schmalen Tragekörben, die links und rechts am Zaumzeug des Esels baumelten, lagen in dem einen große saftige Birnen und Gurken und in dem anderen auf einem Pergament ein Gebäck, dessen Aussehen sofort das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Daneben gluckste in einem durchsichtigen Behälter eine Flüssigkeit.
    Nasreddin drehte die Augen gegen den blendenden Himmel, breitete die Arme und rief mit unernster Inbrunst: »O Allah – was bin ich für ein Unwürdiger. Wie konnte ich einen Augenblick annehmen, daß du mich in deiner Weisheit vom Tode durch das Schwert erretten könntest, um mich dann in der Unendlichkeit dieses Höllenbands von einer Straße verhungern zu lassen?« Schon bei den letzten Worten tastete Nasreddins Linke, ohne daß er den Blick vom Firmament gewandt hätte, nach einer Birne. Im Hineinbeißen ließ er sich vom Esel gleiten, löste die Riemen der Körbe und machte es sich am Feldrand gemütlich. Nur zu gern folgte ihm der Esel, um das unterbrochene Mahl genüßlich fortzusetzen.

 Nasreddin schien es, daß er noch niemals so gut und fürstlich gegessen hatte wie in dieser Stunde zwischen Chiwa und nirgendwo.

    Unterwegs

    Die rollenden Häuser und Hütten nahmen zu, je weiter der Tag fortschritt. Sie kamen mit Gebrumm aus beiden Richtungen, und manchmal stießen sie auch ein gequetschtes Gebrüll aus, um den Mann mit dem Esel auf sich aufmerksam zu machen.
     Anfangs drückte sich Nasreddin ganz weit an den Straßenrand, und es suchten ihn Angstschauer und Gänsehaut heim. Aber sehr bald hatte er sich mit der neuen Situation abgefunden, sich überzeugt, daß diese Dinge trotz ihres respektablen Äußeren und angsteinflößenden Getöses harmlos und im ganzen dumm, eben wie Häuser waren und von ihnen keinerlei Gefahr ausging, wenn man sich ihnen nicht in den Weg stellte.
     Nasreddin winkte sogar schon zurück, wenn ihn Insassen der Häuser grüßten.
    In dem Maße, wie er sich an sein neues Dasein gewöhnte, fand er Gefallen am wiedergewonnenen Leben, und es störte ihn nicht im geringsten, daß soviel Unerklärliches um ihn herum geschah. Satt und im Grunde zufrieden und mit nachklingender Freude, davongekommen zu sein, ritt er einher, ließ den Esel laufen, wie es dem gefiel, und sang alle Lieder, die er kannte. Und fehlten ihm da und dort die Worte, setzte er neue ein. Immer aber waren es solche, die sein Geschick priesen…
     Rechterhand hörte das Maisgebiet plötzlich auf. Knie- bis hüfthohe Stauden standen in Reih und Glied mit weißen Bäuschen an den Ästen, manchmal mit großblättrigen gelben Trichterblüten oder grünen strotzenden Kapseln.
     Beim ersten Anblick hätte Nasreddin geschworen, es sei Baumwolle. Als er aber die riesige Fläche überschaute und sich erinnerte, daß er sich nicht in seiner Heimat, sondern in der Oase Choresm befand, dort niemals Baumwolle gezogen wurde, überkamen ihn Zweifel. Er stieg ab, vergewisserte sich, es war Baumwolle. »Gut, ist es eben Baumwolle und viel Baumwolle!« Nasreddin hatte eine Handvoll gepflückt, warf sie in den Wind, der leicht über das große flache Feld wehte. Im Aufrichten gewahrte er weit zum Horizont zu, gegen eine schwärzliche Buschgruppe, blaue Kästen, die emsig im Feld einherwanderten, und ihm war, als seien hinter ihnen dunkle Streifen im sonst insgesamt weißlichen Baumwollflor. Wenn er sich anstrengte, glaubte er auch ein Brummen von dorther zu vernehmen.
    Nasreddin saß auf. Vor ihm, noch fern, stieg Rauch aus der Ebene. Wo Rauch ist, sind Menschen, dachte er. Und wo Menschen sind, ist Leben. Denn langsam ging ihm diese endlose Straße mit ihrem ewig gleichbleibenden schwärzlichen Belag, ihrem Staub und ihrer Geradheit auf die Nerven. Und daran änderte auch nichts, daß sich zu den fahrenden Häusern und Hütten noch eine Vielzahl anderer rollender Merkwürdigkeiten gesellt hatte: riesenhafte Karren, kleinere auch, Fässer, aus denen Timurs gesamtes, stets durstiges Heer einen ganzen Tag wohl hätte trinken können. Und die Formen dieser Dinge, die da ihre Bahnen zogen, waren sehr unterschiedlich, auch die Farben. Aber – sie waren eben gleichgültig, die Bauten und die Menschen darin. Niemand nahm Notiz von dem Mann mit dem Esel, nichts, außer er bezog das gelegentliche Brüllen auf sich, und manchmal sah er deutlich den Bogen,
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