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Heißes Geld

Heißes Geld

Titel: Heißes Geld
Autoren: Will Berthold
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Natürlich war sie Gift für ihn, schieres Gift, er spürte es auf den ersten Blick, doch er blieb auf der Hut, und dafür gab es zwingende Gründe. Er verglich die verführerische Blondine mit Hannelore, seiner alternden Frau, und wußte, daß er es von nun an immer wieder tun würde. So mag es während der Bürostunden manchem Chef ergehen, aber bei Werner Nareike gab es noch eine zusätzliche Komplikation: Seine Frau war in gewisser Hinsicht auch seine Witwe und hatte ihn deshalb in der Hand.
    Sie lebte getrennt von ihm, getrennt durch 800 Kilometer Raum und jeweils elf Monate Zeit pro Jahr. Er nahm nicht an, daß ihn Hannelore hier im Ruhrgebiet überwachen ließe – aber er kannte und fürchtete ihre grenzenlose Eifersucht. Werner Nareike war bisher äußerst zurückhaltend gewesen, aber ein Mann, der sich eine Mönchskutte überstreift, ist noch kein Asket. Seine Situation war gefährlich, lächerlich und paradox – der Preis für eine Dollarmillion, die er umsichtig und rechtzeitig außerhalb Deutschlands angelegt hatte, an einem Platz, wo sie weder Rost, Motten, Zusammenbrüche, Besatzungsmächte noch Währungsreformen hatten auffressen können. Dieser ungehobene Schatz, das heiße Geld, waren Fluch und Wahn seines Lebens. An ihm hing seine Vergangenheit und, wie er hoffte, auch seine Zukunft. Seine Gegenwart freilich sah anders aus:
    »Bitte nehmen Sie Platz, Fräulein Littmann«, sagte Nareike und bot dem Mädchen mit der reizend, aufreizenden Figur, dem hübschen Gesicht mit den langen, sorgfältig gepflegten Haaren jenes fatalen Blonds, das mitunter nicht nur Männern über fünfzig nasse Augen und heiße Hände macht, einen Stuhl an. »Sie wissen ja, daß Sie in die engste Wahl gekommen sind. Für die Stelle meiner persönlichen Mitarbeiterin habe ich mir die Entscheidung selbst vorbehalten. Sie verstehen sicher, daß ich Ihnen einige, auch persönliche, Fragen stellen …«
    »Deswegen bin ich ja hier«, erwiderte die Bewerberin in dem knappsitzenden, eleganten Kostüm. Sie lehnte sich bequem in den Stuhl zurück, schlug die Beine übereinander, Beine, die sich sehen lassen konnten und auch im Büro noch ein Blickfang blieben. Nareike überflog die Bewerbungsunterlagen auf seinem Schreibtisch lediglich zum Schein noch einmal: Was er einmal gelesen hatte, konnte er sich merken. In diesen Dingen hatte er ein gutes Gedächtnis, und so wiederholte er: Sabine Littmann, 29, ledig, geboren in Breslau, seit der Ausweisung aus Schlesien nacheinander wohnhaft in Nürnberg, Herne und Düsseldorf, sechs Jahre Handelsschule, mittlere Reife mit hervorragendem Notendurchschnitt, 350 Anschläge auf der Schreibmaschine, 250 Stenosilben pro Minute, gediegene Englisch-Kenntnisse, ordentlicher Leumund, zuletzt als selbständige Sekretärin bei einer renommierten Werbefirma tätig.
    »Wir haben gelegentlich mit Radke & Reuß zu tun«, sagte er, »und offengestanden dort Erkundigungen über Sie eingeholt.« Er lächelte knapp. »Sie hätten kaum besser ausfallen können.« Er betrachtete sie eingehend. In ihren grünen Augen lichterten braune Tüpfchen, und in ihrem flächigen Gesicht spielten zierliche Grübchen.
    Die Zeit seiner Kissenschlachten mit den Nackten und den Schönen lag hinter Nareike, und im Büro hatte er sich ohnedies seine Abenteuer nie gesucht – wer würde schon in einem Zoo wildern – aber als Mann, der sich mit Frauen auskannte, nahm er bei dieser Provokation in Blond an, daß sie – fast dreißig und noch immer frei, nicht einmal geschieden – eine herbe Enttäuschung erlebt, oder sich eine langwierige Liaison mit einem verheirateten Mann geleistet haben mußte. Ihre kühle Ausstrahlung erregte ihn und verstärkte zugleich sein Gespür für die Gefahr. Vorsicht tat not, aber es könnte nicht schaden, wenn ihn künftig eine langbeinige Blondine mit schmalen Hüften und festen Rundungen, einer rauchzarten Stimme und einem Gesicht von abgefeimter Unschuld fortgesetzt daran erinnerte, daß sein Leben auslief wie Wein aus einem lecken Fass.
    Er wußte, daß er handeln müßte; er wußte es seit langem. Er hatte es nur nicht gewagt, noch nicht. Die Zeit arbeitete für ihn, das Alter gegen ihn, und wenn er nichts unternähme, würde ihm nicht mehr genügend Zeit bleiben, den Lohn der Angst in Saus und Braus zu verleben. Er war bereits über 58 und damit alt genug für sein drittes – und voraussichtlich sonnigstes – Leben.
    »So weit, so gut«, sagte Nareike. »Eigentlich verkörpern Sie
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