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Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)

Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Susanne Mischke
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    Immer muß es anfangen zu regnen, wenn man gerade aus der Tür tritt. Anfangs kann sie die Tropfen noch zählen, sieht einen nach dem anderen auf dem Pflaster zerplatzen, dann geht der Aufprall des einzelnen in einem Rauschen unter. Sie fängt an zu laufen. Der Körper wehrt sich gegen die Strapaze, die Muskeln machen sich schwer, es dauert, bis sie den Rhythmus gefunden hat. Eins, zwei, drei, vier, einatmen – eins, zwei, drei, vier, ausatmen. Allmählich verflüssigt sich die Schwere des Körpers, sie spürt die Kraft, die sie voranträgt, das Herz pumpt, sie funktioniert. Eine gut geölte Maschine. Selbstbewußt, die Arme angewinkelt, setzt sie einen Fuß vor den anderen, bereit für die tägliche Dosis Endorphin, die der Körper zur Belohnung für die Schinderei ausschüttet. Nicht immer, nur manchmal, wie ein launischer Liebhaber.
    Dunkle Wolken hängen tief über der Stadt. Fast ohne zu dämmern, ist es Nacht geworden. Es riecht nach Herbst, die Pflanzenwelt verströmt den Duft des nahenden Verfalls. Schwarz hocken die Krähen in den Bäumen. Die letzten Hundebesitzer fliehen mit eingezogenen Köpfen. Kein Mensch sitzt mehr auf den vom Regen beträufelten Bänken. Regen klatscht ihr ins Gesicht. Sie vernimmt Schritte hinter sich und fährt im Laufen herum. Niemand zu sehen. Es muß das Echo ihrer eigenen Schritte gewesen sein. Runter mit der Kapuze! Lieber naß werden, als nicht richtig zu hören. Jetzt wird aus dem Prasseln des Regens und dem Rauschen der Blätter eine Kakophonie des Schreckens, unzählige Härchen richten sich auf, werden zu kleinen Antennen.
    Sie hört das Aufklatschen von Sohlen, ganz deutlich. Da sind fremde Schritte. Nicht so panisch umdrehen! Die Angst nicht zeigen, sonst ist man ein potentielles Opfer. Also Kopf hoch, Schultern zurück. Angst ist nur eine Einbildung, ein chemischer Vorgang im Gehirn, reduzierbar auf einen Urinstinkt.
    Na also. Es ist ein Jogger, ein Mitglied der Körperkult- Community , kein Vergewaltiger, kein Menschenfresser. Entwarnung. Sein Gesicht ist naß, er sieht gut aus, hebt lässig die Hand zum Gruß. Dann ist er im Dunkeln verschwunden. Nur sein Schweiß hängt noch in der Luft.
    Wieder den Rhythmus finden. Eins, zwei, drei, vier, einatmen – eins, zwei, drei, vier, ausatmen. Ist das hier duster, die Landeshauptstadt könnte ruhig ein paar Laternen mehr aufstellen. Ein Zweig knackt. Etwas raschelt. Ihr Herzschlag gerät ins Stolpern. Ein Vogel flattert aus dem Gebüsch auf.
    Bist du heute hysterisch. Adrenalin statt Endorphin. Das ist nur Quälerei, nichts wie nach Hause. Nur noch ein paar hundert Meter bis zur Brücke. In den Schatten der Haustür schlüpfen, den Schalter drücken und eintauchen in das sichere Licht. Happy-End.
    Eins, zwei, drei vier, einatmen – eins …
    Ein stummer Schrei reißt das Gesicht auseinander. Eine kalte Stahlschlinge schneidet in ihr Fleisch und schnürt ihr die Luft ab. Heißer Atem streift ihr Genick, während sie vergeblich nach Luft ringt. Gerade als die Todesangst zur Gewißheit wird, läßt der Druck nach, und für einen köstlichen Moment spürt sie, wie der Sauerstoff durch ihre Zellen strömt. Dann sieht sie in diese Augen und weiß, daß das erst der Anfang war.

Erster Teil

I
     
    Mathilde zog die Karte stets bei geschlossenen Jalousien, als beginge sie ein Verbrechen. Dabei war es nur eine alte Gewohnheit. Aber Mathilde änderte ihre Gewohnheiten nicht gerne, auch nicht die schlechten.
    An diesem Morgen war es der Tod.
    Nicht gerade das, was einen vor einem Arztbesuch aufmuntern konnte, dachte Mathilde und schlug im Tarothandbuch nach. Dort stand etwas von Transformation und Veränderungen. Sie klappte das Buch zu. Unfug.
    Mathilde wollte nichts verändern. Sie mochte ihr Leben, so wie es war. Sie lebte allein. Die Männer waren ihr immer wieder aus den Händen geglitten, nie hatte es ganz gepaßt.
    Sie ging zum Fenster und öffnete die Jalousie. Klares Sonnenlicht strömte in die saubere, aufgeräumte Küche, in der jeglicher Okkultismus ab sofort nichts mehr verloren hatte.
    Zehn nach sieben. Noch Zeit, ein Buch auszusuchen. Ärzte waren grundsätzlich unorganisiert, man mußte sich auf Wartezeiten einstellen. Klatschblätter rührte sie nicht an, schon gar nicht die abgegriffenen Hefte in Arztpraxen. Sie entschied sich für einen Kriminalroman, auf dessen Umschlag Spannung versprochen wurde. Was denn sonst, fragte sich Mathilde und packte das Buch in ihre Tasche.
    Ehe sie ging, warf sie einen
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