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Moser Und Der Tote Vom Tunnel

Moser Und Der Tote Vom Tunnel

Titel: Moser Und Der Tote Vom Tunnel
Autoren: Martin Baehr
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Die Anfahrt
     
     
    Kriminalrat Moser war schon fast zehn Stunden unterwegs. Vor Kurzem hatte der Schnellzug von München nach Metz die Station Bruchsal verlassen und rollte nun die Auffahrt der Germersheimer Rheinbrücke hinauf. Dort begann die Pfalz, der linksrheinische Teil Bayerns. In Germersheim gab es einen längeren Aufenthalt, bei dem die Lokomotive durch eine Maschine der Pfälzischen Eisenbahnen ausgewechselt wurde. Auch wenn die pfälzischen Strecken gut ausgebaut waren, schauderte es Moser schon bei seiner Abfahrt in München vor der langen Reise in den verschneiten Pfälzer Wald. Wie gern hätte er einen Mitarbeiter dort hingeschickt; aber Pfister, sein Vorgesetzter im königlich-bayerischen Justizministerium, ließ sich nicht umstimmen.
    Mit den Worten: »Moser, überlegen Sie sich, welche Dimension dieser Fall annehmen könnte. Seit dem ungeklärten Tod unseres Königs im Sommer vorletzten Jahres ist die Bevölkerung hellhörig. Hinter jedem Mordfall in Bayern wird gleich eine Verschwörung mit politischem Hintergrund vermutet. Bedenken Sie, was im Jahre ’32 gerade in der Pfalz los war. Und erst die Aufstände 1848! Wir benötigen Ihre Erfahrung und Ihr Gespür. Baron von Rothschild als Hauptaktionär der Eisenbahngesellschaft hat mich um ausdrückliche Diskretion gebeten. Ich wünsche Ihnen viel Glück und Fingerspitzengefühl bei Ihrer Mission«, hatte Pfister Moser verabschiedet. Er wusste, dass er sich auf seinen altgedienten Kriminalrat verlassen konnte.
    Moser dachte während der ganzen Fahrt an seinen ersten Aufenthalt in der Pfalz im Jahre 1849. Beim Blick aus dem Abteilfenster sah er, dass der Schneefall aufgehört hatte. Die Sonne durchbrach die Wolkendecke über der pfälzischen Rheinebene und gab den Blick auf die ihm immer noch vertraute Bergkette frei. Der Zug ratterte durch den kalten Februartag unaufhaltsam Richtung Landau an den schneebedeckten Feldern, Wiesen und den kahlen Wäldern vorbei.
    Wenn die Reise damals, vor mehr als achtunddreißig Jahren, auch schon so schnell gegangen wäre! Aber da gab es noch keine Eisenbahn in diesem Teil der Pfalz. Moser war seinerzeit Fähnrich bei den bayerischen Kürassieren in Ingolstadt, als er den Marschbefehl nach Pirmasens bekam. Die frühere Residenzstadt des Landgrafen von Hessen-Darmstadt hatte damals eine schlimme Zeit hinter sich. In den 1840er-Jahren entwickelte sich Pirmasens, das 1816 mit dem Rheinkreis an Bayern gefallen war, zu einer Industriestadt; dem Zentrum der Schuhindustrie. Nach wie vor gab es großes Elend unter den Fabrikarbeitern, die Stadt litt immer noch unter ihrer abseitigen Lage und der schlechten Verkehrsanbindung. Die Bevölkerung von Pirmasens war also für die revolutionären Ideen sehr empfänglich. Besonders das Gasthaus von Peter Seebach in der Schlossstraße galt als Versammlungsort für alle, die in der Gegend die Ideen Heckers in die Tat umsetzen wollten. Und erst dieser Mann, der den Beinamen ›Pascha von Pirmasens‹ trug; der konnte offenbar die Massen bewegen. Die Unruhen in München waren groß, aber im 1838 in ›Pfalz‹ umbenannten bayerischen Rheinkreis brodelte es noch erheblich mehr. Um dem revolutionären Treiben ein Ende zu bereiten, konnte nur königstreues Militär eingesetzt werden.
    Moser hatte keine guten Erinnerungen an seinen damaligen Aufenthalt in Pirmasens. Seine Truppe wurde in einer leerstehenden früheren reformierten Kirche am Exerzierplatz untergebracht. Die Bevölkerung von Pirmasens, das zwar hundert Jahre zuvor als Garnisonsstadt ausgebaut wurde, jedoch seit 1793 keine Soldaten mehr beherbergt hatte, beäugte die ›Zwockel‹ aus dem bayerischen Mutterland argwöhnisch, die unter schlechten Bedingungen in der Kirche biwakierten.
    Moser war gespannt, ob sich die Atmosphäre in Pirmasens und Umgebung inzwischen verändert hatte und hoffte, dass sein dortiger Aufenthalt diesmal besser verlaufen und außerdem kürzer sein würde als damals. Er freute sich in Gedanken schon auf seine Rückkehr in die Hauptstadt und ein Bier im Englischen Garten im Frühling, als der Zug in Landau einfuhr.
    Der dicke Weinhändler aus der Südpfalz, der seit Stuttgart im gleichen Coupé saß und Moser mit seinem lauten Schnarchen ärgerte, verabschiedete sich und stieg aus. Die ältliche Dame am Fenster schaute nach der Bahnhofsuhr und seufzte. Wie sie erzählt hatte, fuhr sie nach Zweibrücken, wo sie eine neue Stelle als Gouvernante für die Kinder eines Richters antreten sollte. Auch Moser
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