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Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)

Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)

Titel: Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)
Autoren: Sandra Hoffmann
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aufrichtete, legte die Hand sich ihm in den Nacken.
    Auf dem Hof, über den sie fuhren, standen Lastwagen, rangierten, und so viele Menschen waren da, Kinder, viel jünger noch als er, sicher noch nicht sechzehn. Und das Schwein zog den Jungen aus dem Auto, als der nicht aussteigen wollte, und riss ihn am Ohrläppchen, dass er schrie und dann hemmungslos heulte. Und wie sie in diese Baracke kamen, da roch es nach Holz, modrigem Holz, nach zu vielen Menschen, feucht und warm, zu warm. Alles war voller prall gefüllter Säcke gewesen, wessen Hab und Gut das war? Er hatte ja gar nichts dabei und der Junge auch nicht, und viele andere auch nicht, das sah er, als sie in den Lastwagen stiegen, der sie zum Bahnhof fuhr, das war am Tag später. Und hörte zum ersten Mal das Wort: Umwanderungszentralstelle. Und irgendjemand wies ihm ein Brett als Bett zu, und diesem Jungen das Brett über ihm, aber der Junge hatte Angst, oben zu liegen. Jakub! Und Janek gab ihm sein Brett und legte sich nach oben, da sah er nicht unbedingt hinüber auf die Bodenlager aus Stroh; wenn er nicht wollte, musste er manches nicht sehen; nicht die Anstrengungen der Erwachsenen, stark und zuversichtlich zu sein für die Kinder, denn dann würde er noch viel mehr an die Mutter und Mili denken müssen. Er lag oben und zählte die Streben, die den Saal unterteilten, hin und zurück und hin und zurück, als könnte man etwas falsch machen dabei, als müsste er sich immer wieder versichern. Und unten im Bett heulte Jakub, und er tat ihm nicht einmal leid, weil man so ein Weichei einfach nicht sein durfte, dann konnte man es gleich bleiben lassen mit allem, dann hatten die einen gleich. Aufrecht bleiben! Ein Vatersatz, der half. Als es dunkel geworden war, kannte er sich aus mit den fest installierten Dingen in der Baracke, Holzstreben, Deckenbalken, Fenstern, Türen, Bodendielen, auch jenen über ihm, die sehr knarzten und ihm sagten, dass dort auch noch Leute untergebracht waren, aber dafür interessierte er sich in dem Moment nicht. Er kannte die Zahlen des Saals, in dem er lag. Und war hungrig. Er erinnerte sich noch an den Lastwagen, der hatte eine Flatterplane übergespannt, und wie er und viele andere Burschen, Männer und Frauen dort einsteigen mussten am Morgen, und er versuchte als Letzter, wenigstens als Vorletzter oder als Vorvorletzter auf die Ladefläche zu klettern, weil er Angst hatte, zerquetscht zu werden, und vor dem Geruch dieser vielen Menschen. Und wie er sich nach Izy sehnte, sich vorstellte, er erklömme die Ladefläche, und Izy, freudig wedelnd, sah ihn und sprang tatsächlich hinterher, drängte sich an ihn, setzte sich dicht neben ihn, und er streichelte ihr struppiges warmes Fell, und sie leckte ihm übers Gesicht; wie er sich ein wenig schütteln musste, und mit der Hand den Hundespeichel abwischen, und er sah Izys braune freundliche Hundeaugen vor sich.
    Die kleine Schwester? Er hat sie nicht hereinkommen hören. Da war sie.
    Izy, sie hätte keine Angst gehabt, wenn ich keine Angst gehabt hätte, und ich hätte keine Angst gehabt, wenn sie mit dem Schwanz gewedelt und sich gefreut hätte, oder jedenfalls nicht so viel. So einfach ist das, sagt Bili ń ski.
    Es ist niemand im Zimmer. Keine kleine Schwester. Das Bett ist nass, wie er. Zur Seite rücken, denkt er. Aber das hilft nicht und ist unbequem, dann fällt ihm der Arm über die Kante. Er rutscht wieder zurück. Sie wollte doch gleich wiederkommen. Er wischt die Hand am Bettlaken ab, dort, wo es trocken ist, und schließt die Augen wieder. Wenn er etwas in seinem Leben dringend und früh lernen musste, dann war es, den Kopf vom Körper unabhängig zu machen. Wer im Kopf lebt, überlebt. Wenn er die Augen schließt, geht alles von selbst. Die Ladefläche war voller Menschen, an der hintersten Kante saß er und sah sich fallen. Wenn die Klappe nicht hält, liege ich unten. Dass man leben wollte, obwohl man nicht wusste, was kommt, nur dass alles enden würde, was bisher war, dass nie mehr etwas werden würde, wie es war; deshalb hatte er nicht vom Lastwagen fallen wollen, er wollte leben. Auf der Ladefläche beginnt die Erinnerungslücke, wie er von dort aus in den Zug kam, wie es im Zug ausschaute? Alles weiß er, nur das nicht. An seinen Hunger erinnert er sich, daran, wie der Hunger so müde machte, dass er nur noch schlafen wollte, aber er konnte nicht schlafen, und dass er Berührung vermied. Höchster Schwierigkeitsgrad war das. Gab man Raum frei, nahm ihn sofort jemand
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