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Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)

Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)

Titel: Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)
Autoren: Sandra Hoffmann
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drei!
    Und wie er in die Knie ging, die knackten leicht, heute noch, und wie peinlich ihm seine knochigen Knie waren und seine knochigen Schenkel und seine langen schlaksigen Arme, aber alles war besser, als die Unterhose auszuziehen.
    Arme heben, strecken. Was tust du eigentlich den ganzen Tag, Bürschchen? Keine Muskeln. Umdrehen!
    Und wie einer der Beamten, oder Soldaten, vom Rasse- und Siedlungshauptamt aufgestanden, auf ihn zugekommen war, mit einem spitzen Gegenstand in der Hand, und er, Janek, nicht hatte hinschauen wollen. Und wie er deshalb auf die gestiefelten Füße dieses Mannes schaute, der sagte: Um ein Haar eine Trichterbrust! Und dann giggelnd lachte. Um ein Haar ein Mädchenlachen.
    Das stimmte nicht, seine Brust war in Ordnung. Das Problem lag anderswo, aber er wehrte sich nicht. Besser, sie fanden etwas an seiner Brust falsch.
    Umdrehen!
    Und wie er den Blick auf seinem Rücken spürte, nicht nur den Blick, wie der Stift oder das Stöcklein, der jedenfalls spitze starre Gegenstand seinen Rücken hinabglitt, unangenehm jeden Wirbel nehmend, als fahre er über eine hügelige Straße. Und wie er dachte, nun rutscht er mir in den Arsch mit dem Ding, und »nicht zittern« dachte, bloß nicht zittern; seine Fußnägel waren lang, zu lange nicht geschnitten, und dass seine Zehen auch nicht symmetrisch waren, das nahm er da zum allerersten Mal wahr. Der Stift rutschte unter den Bund seiner Unterhose, dort, wo die Grube begann, hob den Bund an und Janek hatte schreien wollen: Nein! Aber er hielt nicht einmal die Luft an, zählte sich von seinen Zehen voran über die Holzdielen zur Wand, da schnalzte der Bund der Unterhose zurück.
    Ein bisschen Fett auf den Rippen würde dir nicht schaden, Bürschchen, sagte nicht der Franke, sondern der im weißen Mantel, und »umdrehen!«.
    Da stand er wieder vor den dreien und neben ihm, in nur sehr geringem Abstand, konnte er die fränkische Schwuchtel atmen hören, er konnte sie sogar riechen. Und wie er wieder da rauskam, und zu seinen Kleidern? Die ganze Scheißtortur noch einmal rückwärts, hatte er gedacht, als er mit dem Schwein wieder zurück über den Flur gehen musste, dessen Hand seinen Oberarm umklammerte, dessen Zeigefinger immer wieder über die Arminnenseite Richtung Achselhöhle strich, sich dann wieder zu den anderen Fingern legte, festgezurrte Hand, als könnte er davonrennen wollen, so, wie er war. Er wollte es tun, er wollte es nicht. Und schließlich, schon angezogen, die Flecken an den Wänden von neuem gemustert, sortiert, nach Größe vermessen, nur aufgezählt, nicht archiviert, aber den Versuch gemacht, alles rückwärts zu zählen, achtundfünfzig, siebenundfünfzig, die großen Flecken an der Wand unterm Fenster, abgefallener Putz, sechsundfünfzig, fünfundfünfzig, das war ein Blutfleck, wie vierundfünfzig auch, Spritzer: dreiundfünfzig, zweiundfünfzig, einundfünfzig und so weiter, und noch lange nicht bei null waren sie an der Tür angekommen, das Dreckschwein und er, und die Treppe hinunter, übern Vorplatz und wieder rein in dieses Auto mit dem merkwürdig flatternden Dach. Oder weiß er das nicht mehr richtig? In der Erinnerung ein Geräusch von schlagenden Tauben. Im Auto saß der Junge vom Flur schon neben einem Soldaten auf der Rückbank.
    Rück rüber, sagte der Franke, stank nach schwitzendem Mann und sagte zum Fahrer: Zu den andern!
    Und setzte sich neben ihn. Und immer wieder versuchte Janek den Blickkontakt mit dem Jungen, der schaute nur auf sich selbst herunter, und Janek glaubte, er weinte, ab und zu zog er den Rotz hoch und röchelte. Und sie fuhren von Zagorzy aus durch die Felder, und er sah, sie näherten sich Gorlow, wohin auch sonst sollten sie fahren, und er hatte keine Ahnung, wohin er nun käme, aber klar, sie fuhren hinein in die Stadt, Richtung Bahnstation. Und in seinem Kopf nur das Rumoren, dass die Mutter es doch wissen muss, und Mili, und wie das gehen soll, wie sie das erfahren würden, sie würden ihn vermissen, und lieber wollte er aber nichts sagen, nichts fragen, denn was, wenn das Schwein Mili zu sehen bekäme, die war doch schön. Und so hatte er geschwiegen, gewartet, hatte immer wieder den zitternden Fuß beruhigen müssen, fest auf den Boden drücken, doch dann war das Zittern im Knie losgegangen, bis er das Knie niedergedrückt hatte, als sei es sein Feind. Der Arm des Dreckschweins war ihm in den tiefen Rücken nachgerückt, als er sich nach vorne gebeugt hatte; als er sich gegen den Widerstand
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