Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)

Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)

Titel: Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)
Autoren: Sandra Hoffmann
Vom Netzwerk:
nun auf das Stückchen Haut, das zwischen Unterhose und Hemd hervorschimmerte.
    Du Pisser, du tust mir nichts! Denken ja, aber halt die Klappe, dummer Janek. Er zog das Hemd über den Kopf. Vierzig, er hatte den Punkt an der Wand wiedergefunden und hängte das Hemd an den Haken.
    Weiter, wieherte die Sau, und der Gewehrlauf strich seine Wirbelsäule entlang und trieb das Gummiband der Unterhose Richtung Poritze. Reflexhaft zog er die Hose über die Hüfte. Dreiundvierzig? Er starrte auf die gelbe Wand, das graue Loch, das die Form eines auf den Kopf gestellten Herzens angenommen hatte beim Schauen, oder war es wirklich eines, aber wenn es eines war, warum stand es dann auf dem Kopf, und wer hatte es wem aus der Wand geklopft?
    Hör mal Bürrrrschen, wenn du nun nicht sofort –
    Kann ich nicht mit der Hose über den Gang, Janek fragte es schüchtern, hoffnungslos eigentlich, er wollte das nicht, und was wäre, wenn dieser Kerl sehen würde, dass er da unten asymmetrisch war? Neunundvierzig, fünfzig. Warum hat der Junge, der das Herz aus dem Wandputz gemeißelt hat, nicht einmal die Initialen des Mädchens danebengeschrieben?
    Komm, sagte das Schwein. Der Gewehrlauf streifte ihm noch einmal die Flanke hinauf, ein demütigendes Streicheln, dann hörte er, wie der Franke die Tür öffnete. Dreiundfünfzig. Er drehte sich um, die Unterarme über der Brust verschränkt.
    Die Augen des Spitzbärtigen blitzten dunkel und geil. Fünfzehn, wieherte er, dass ich nicht lache.
    Janeks Arme waren zu dünn und seine Hände zu klein, obwohl sie doch gar nicht so klein waren, aber eben nicht groß genug, um seine noch nicht üppigen, aber doch wohlsprießenden Brusthaare zu verdecken; sie lagen wie ein dunkler feiner Flaum auf seiner Haut.
    Ziert sich, der Knabe!
    Janek stellte sich aufrecht hin, obwohl er lieber den Kopf hätte hängen lassen, aber der Vater hatte einmal gesagt: Was auch immer du tust, erledige es mit Würde. Die Hand des Drecksacks fasste nach seinem linken Oberarm, packte für einen Moment zu, aber dann machte sich wieder der kleine Finger selbstständig und strich Janek über die feine Haut unterhalb der Achselhöhle. Er presste den Oberarm gegen die Flanke. Der Franke kicherte. Da ging die Tür auf, und einer der Soldaten aus der Kolonne kam mit einem komplett nackten Jungen aus dem Raum, der weinte. Er war klein und stämmig, trug einen roten Striemen auf dem Bauch wie einen schief sitzenden Gürtel, gut sichtbar, obwohl er mit seiner rechten freien Hand seinen Schwanz bedeckte. Den hatten sie also schon. Einen Augenblick begegnete er seinem Blick, der unter dichten schwarzen Augenbrauen verstört hervorschoss, und Janek blieb an ihm haften, aber die Augen des Leidensgenossen sprachen nicht zu ihm. Janek nickte ihm zu, der Junge senkte den Kopf. In der offenen Tür sah er Männer sitzen. Waren es drei gewesen oder vier, oder waren es erst vier, als der grausame Franke sich auch noch zu ihnen stellte?
    He, sagte Bili ń ski zu sich selbst, er zwickte sich mit Zeigefinger und Daumen in die Wange, wie es früher sein Vater gemacht hatte, da war er noch ein richtig kleiner Junge gewesen. Von Eiswasser gefriert dir der Magen zu!, sagte der Vater. Warum fällt ihm das nun ein?
    Ein Gewitter, weit entfernt ein Donner, noch einer, ein fernes dumpfes Grimmen in der Luft, nichts Bedrohliches. Wetterleuchten kann er nicht sehen. In der Nacht liegt man mit geschlossenen Vorhängen, egal ob man ein Privater ist oder nicht. Nachts hat es dunkel zu sein.
    Dass der elende Dreckskerl ihn nicht gezwungen hatte, die Unterhose auszuziehen, dass ihm der Schweiß wie ein kleines Rinnsal übers Brustbein hinabgelaufen war, in der schmalen Kerbe sich ein feuchtes Tal gebildet hatte, sein Bauch glänzte, seine Arme, sein Gesicht schweißfeucht waren, als er in diesem Saal vor den drei Soldaten stand, die ihn befragten: Name, Alter, Name der Mutter. Aha. Deutschstämmig, woher? Du lügst doch nicht, schlaues Kerlchen. Wie er nicht zittern wollte, wie er die Füße der Beamten anschaute, wie er die Ösen ihrer Schuhe zählte zwischen den Antworten, wie er versuchte, sich auf alles, was er zählen konnte, zu konzentrieren, als die Ösen bereits gezählt waren: die Fußbodendielen, die Leisten in den Fensterrahmen, die sichtbaren Flecken an den Wänden, was schwierig war, weil er mitten im Raum stand. Drei Lampen, lange Röhren, zogen sich durch die Raummitte, drei Stück, so dass er hell beleuchtet dastand.
    Kniebeuge! Eins, zwei,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher