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Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)

Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)

Titel: Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)
Autoren: Sandra Hoffmann
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ein. Dass er sich in seiner Vorstellung in den Hohlraum seines Bauches begab, dass ihm das gelang, als sei er nur noch darin, in seinem Bauch in seinem Körper, innen, als wäre er darin geborgen, mitten in den Geräuschen des hungrigen Magens, wie ein kleines Tier. Und dass der Hunger dadurch erträglicher wurde. Das stellt er sich jetzt so vor. Aber wie die Lippen trocken geworden waren, das kennt er wieder, seitdem er krank ist.
    Nachts klopfen sie nicht an beim Eintreten. Die Tür öffnet sich und jemand steht da. Die kleine Schwester. Wenn sie es war, war alles gut. Jedenfalls besser.
    Ich muss mich umziehen, sagt Bili ń ski.
    Warum?
    Ich brauche ein neues Laken.
    Marita geht zum Schrank. Gestreifte Hose?
    Es ist mir kalt!
    Die kleine Schwester kommt mit der gestreiften Pyjamahose zu ihm herüber und schlägt das Deckbett zurück. Bili ń ski legt die Beine über die Bettkante, langsam lässt er sich auf den Fußboden hinabsinken, bis er sicher steht. Alles ist kalt, auch der Fußboden ist kalt, die Stuhlfläche, die Lehne, die Luft. Er fröstelt, es schüttelt ihn zwei Mal, worüber er gerne gelacht hätte, aber das Lachen wird zu einem merkwürdigen Krächzen, er verstummt und fühlt sich genötigt, etwas zu erklären.
    Ich habe geschwitzt. Sagt er.
    Die kleine Schwester sagt nichts.
    Ich habe in die Hose gepisst und geschwitzt. Sagt Bili ń ski.
    Sie wusste sich zu benehmen. Das schätzte er. Aber manchmal wollte er eine Antwort.
    Es ist aus mir herausgelaufen.
    Dafür können Sie nichts. Sagt sie.
    Sie aber auch nicht.
    Die kleine Schwester schüttelt den Kopf. Jetzt lacht sie nicht.
    Soll ich Ihnen helfen? Fragt sie.
    Sie soll bitte lachen, denkt er. Er versucht es noch einmal: Ich bin Ihr Putzjob. Sagt er und merkt, es klingt nicht witzig.
    Sie schweigt.
    Der nebenan wahrscheinlich auch, sagt er.
    Soll ich Ihnen helfen, wiederholt die kleine Schwester freundlich.
    Er schaut sie nicht an. Du bist ein Patient, denkt er, denkt er immer dann, wenn er sich nackt zeigen soll; dass er kein Mann ist für eine Krankenschwester, sondern nur ein Körper. Es war gut gegen die Scham, das zu denken. Er hebt sein Gesäß leicht an, damit sie ihm die Hose herunterziehen kann, er stemmt die Arme auf den Stuhl, sein Kopf sinkt ihm zwischen die Schultern und zwingt ihm den Blick auf seinen Schwanz auf, der klein und zipfelig auf zu viel Haut liegt. Bili ń ski richtet sein Kinn gegen Marita, er will nicht sehen, wie alles immer weniger wird an ihm.
    Nie spürt man die Stille besser als nach dem mutwilligen Tod eines Tieres, sagt er.
    Nach dem Tod eines Menschen, setzt ihm die kleine Schwester vorsichtig entgegen.
    Menschen sterben still, antwortet er. Er spürt, dass sich ein Widerspruch in ihm auftut, aber er will den jetzt nicht hören. Von uns gehen, sagt er, was glauben Sie, warum das so heißt: Er ist von uns gegangen?
    Sie hat einen Waschhandschuh geholt.
    Lassen Sie das doch! Sagt er.
    Wollen Sie lieber stinken?
    Dann mach ich es selbst.
    Sie gibt ihm den Handschuh und schaut ihn an.
    Nicht. Sagt Bili ń ski. Drehen Sie sich bitte um!
    Die kleine Schwester geht zum Waschbecken und dreht den Hahn auf.
    Er reibt sich den Schwanz ab und die Schenkel.
    Fertig, sagt er. Seine freie Hand liegt im Schoß, er weiß, dass das nichts besser macht, gar nichts, für die kleine Schwester auch nicht.
    Sie nimmt ihm wortlos den Waschhandschuh aus der anderen Hand.
    Dann ziehen wir die frische Hose an und ich mache noch Ihr Bett neu. Sagt sie.
    Wir! Bili ń ski hört sich fauchen. Jetzt fangen Sie auch noch damit an.
    Sie schweigt und bückt sich, der Pferdeschwanz baumelt an ihrem Hinterkopf. Er sieht ihren schmalen Rücken, er sieht sie für einen Augenblick anderswo. Er weiß, wo. Er weiß, wen er sieht, und spürt, dass der Wunsch, ihr das zu sagen, stärker wird: Sie könnten die kleine Schwester sein, von Hannah.
    Er sagt, ich mach das selber, und streckt die Hände aus.
    Sie schaut ihn nicht an. Auf der Höhe seiner Knie hält sie die Schlafanzughose fest, er beugt sich nach vorne, greift zu, sie steht auf, stellt sich hinter ihn. Das haben sie nicht abgesprochen.
    Danke, denkt er.
    Sie hebt ihn von hinten leicht an, so dass er die Hose über sein Geschlecht ziehen kann und über das Gesäß.
    Danke, sagt er.
    Für nichts, antwortet sie.
    So hat alles angefangen. Sie waren hinunter auf die Straße gegangen und rüber zu den Streuobstwiesen, da hat er schon gemerkt, das übliche Quadrat wird er heute nicht schaffen. Du musst
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