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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel
Autoren: Carre
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unter uns.
    Wir schoben uns um eine Felsnase herum und trafen auf die nächste. Wir liefen, davon war ich überzeugt, bewußt und schweigend in den Tod. Wir nahmen unseren Platz bei den Märtyrern und den heldenhaften Ungläubigen ein. Ich sah wieder um mich und stellte fest, wir standen auf einem geschützten, grasüberwachsenen Vorsprung, der so von Felsen umgeben war, daß er einer riesigen, in den Felsen gehauenen Kammer mit Panoramafenster glich, von dem man auf die Apokalypse blickte. Und auf dem Gras waren Brandflecken wie auf dem Plateau; und Stiefelspuren und die Abdrücke von schweren Ausrüstungsgegenständen. Und auch die stehende Luft in der Kammer roch nach Brand und Explosionen.
    Wir gingen tiefer in die Felsen hinein und erblickten die Trümmer eines großen Waffenlagers: gesprengte und umgekippte Panzerabwehrgeschütze, Maschinengewehre, deren Läufe durch klug angebrachte Sprengladungen zerplatzt waren, vollständig zerstörte Raketenwerfer. Und in den Abgrund führte eine Spur schlammiger Fußabdrücke hinab, die mich an Aitken Mays Bauernhof erinnerte, wo man die leichtesten seiner Teppiche auf den Kamm des Hügels geschleift und zum Spaß heruntergeschleudert hatte.
    * **
    Auf dem Plateau hatte sich der Wind gelegt und schneidend kalte Gebirgsluft zurückgelassen. Irgend jemand hatte mir einen Mantel gegeben, vermutlich Magomed. Wir drei standen auf dem Hang: Magomed, Cranmer und Tschetschejew. Auf dem Hof unter uns brannte ein Feuer, um das Männer aller Altersstufen saßen und sich berieten, darunter auch Issa und unsere Muriden. Gelegentlich sprang ein junger Mann auf, und Tschetschejew erklärte, er spreche von Rache. Gelegentlich wurde ein alter Mann leidenschaftlich, und Tschetschejew erklärte, er spreche von den Deportationen und daß sich nichts, rein gar nichts geändert habe.
    »Werden Sie es ihr sagen?« fragte ich ihn.
    »Wem?«
    Er schien sie wirklich vergessen zu haben.
    »Emma. Sally. Seiner Freundin. Sie ist in Paris und wartet auf ihn.«
    »Sie wird es erfahren.«
    »Wovon reden sie jetzt?«
    »Sie sprechen über die Tugenden Bashirs. Nennen ihn einen großen Lehrer, einen richtigen Mann.«
    »War er das?«
    »Wenn bei uns ein Mann stirbt, befreien wir uns von allen schlechten Gedanken an ihn. Das würde ich Ihnen übrigens auch raten.«
    Die Stimme eines alten Mannes drang zu uns herauf. Tschetschejew übersetzte. »Rache ist heilig, und es darf nicht daran gerührt werden. Aber es reicht nicht, ein paar Osseten oder Russen zu töten. Vor allem brauchen wir einen neuer Führer, der uns aus der Knechtschaft befreit, in der wir wie Tiere gehalten werden.«
    »Haben sie einen Bestimmten im Sinn?«
    »Das hat er gerade gefragt.«
    »Sie?«
    »Wollen Sie eine Hure als Klostervorsteherin?« Wir hörten zu, dann übersetzte er wieder. »Wer von uns ist groß genug, klug genug, tapfer genug, fromm genug, bescheiden genug – Warum nicht auch noch verrückt genug und damit fertig?«
    »Also wer?« beharrte ich.
    »Man nennt das tauba . Diese Zeremonie heißt tauba . Das bedeutet Reue.«
    »Wer bereut? Was haben sie denn falsch gemacht? Was haben sie zu bereuen?«
    Eine Weile nahm er meine Frage nicht zur Kenntnis. Ich hatte das Gefühl, daß er sich über mich ärgerte. Vielleicht war er auch wie ich mit den Gedanken woanders. Er nahm einen Schluck aus seinem Taschenflakon.
    »Sie brauchen einen Muriden, der die sufistische Lehre kennt und der gut ausgebildet ist«, sagte er schließlich, noch immer den Hügel hinunterblickend. »Das bedeutet zehn Jahre Arbeit. Oder zwanzig. So etwas lernt man nicht beim KGB. Ein Meister der Meditation muß er auch noch sein. Ein hohes Tier. Ein erstklassiger Krieger.«
    Ein Grollen erhob sich und wurde zum Schrei. Issa stand fast in der Mitte des Kreises. Das Feuer beleuchtete seine bärtigen Wangen, als er sich umdrehte und uns auf dem Hügel ein Zeichen gab. Wenige Schritte unter uns stand Magomed, die Falten seiner tscherkesska über den breiten Rücken gezogen, und sah zu ihm hinunter.
    Andere Stimmen schlossen sich Issa an und unterstützten ihn. Plötzlich war es, als ob sie alle uns etwas zuriefen. Die zwei Muriden rannten aus dem Hof und liefen auf uns zu. Immer wieder hörte ich, wie Magomeds Name wiederholt wurde, bis alle ihn riefen. Magomed ließ Tschetschejew und mich stehen und ging langsam den Hang hinunter den Muriden entgegen.
    Eine neue Zeremonie begann. Magomed saß in der Mitte des Kreises, wo ein Teppich für ihn ausgebreitet
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