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Im Sog der Angst

Im Sog der Angst

Titel: Im Sog der Angst
Autoren: Jonathan Kellerman
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1
    Vor einigen Jahren brannte ein Psychopath mein Haus nieder.
    In der Nacht, als es geschah, war ich mit der Frau, die das Haus entworfen hatte und mit mir darin lebte, zum Abendessen ausgegangen. Wir fuhren auf dem Beverly Glen nach Norden, als die Sirenen durch die Dunkelheit schnitten und heulten wie Kojoten bei einer Totenklage.
    Der Lärm erstarb rasch, was auf eine Katastrophe in der Nähe schließen ließ, aber es gab keinen Grund, das Schlimmste anzunehmen. Falls man nicht ein Pessimist sondergleichen ist, denkt man: »Da hat irgendein armer Teufel Pech gehabt.«
    In jener Nacht habe ich eine andere Erfahrung gemacht.
    Seitdem löst das Horn eines Krankenwagens oder eines Feuerwehrautos etwas in mir aus - meine Schulter verkrampft sich, mein Atem stockt, das pflaumenblaue Ding in meiner Brust gerät ins Stolpern.
    Pawlow hatte Recht.
    Ich bin als klinischer Psychologe ausgebildet worden und könnte etwas dagegen tun, habe mich aber entschieden, es bleiben zu lassen. Manchmal erinnert mich die Angst daran, dass ich am Leben bin.
    Als die Sirenen kreischten, aßen Milo und ich bei einem Italiener oben am Glen zu Abend. Es war halb elf an einem kühlen Juniabend. Das Restaurant schließt um elf, aber wir waren die letzten Gäste, und der Kellner sah müde aus. Die Frau, mit der ich jetzt zusammen war, gab einen Abendkurs in Psychologie des Abnormen an der Uni, und Milos Lebensgefährte Rick Silverman hatte in der Unfallstation des Cedars-Sinai alle Hände voll damit zu tun, das Leben der fünf am schwersten Verletzten einer Massenkarambolage auf dem Santa Monica Freeway zu retten.
    Milo hatte gerade die Akte zu einem Überfall auf einen Schnapsladen am Pico Boulevard geschlossen, bei dem mehrere Menschen getötet worden waren. Die Lösung des Falls hatte größere Anforderungen an seine Beharrlichkeit als an seine grauen Zellen gestellt. Er war in der Lage, sich seine Fälle auszusuchen, und es waren noch keine neuen auf seinem Schreibtisch aufgetaucht.
    Ich war endlich damit fertig geworden, als Gutachter in einem endlosen Sorgerechtsstreit auszusagen, der von einem berühmten Regisseur und seiner berühmten Schauspielergattin ausgetragen wurde. Zu Beginn der Konsultation war ich einigermaßen optimistisch gewesen. Der Regisseur war mal Schauspieler gewesen, und sowohl er als auch seine Exfrau wussten, wie man einen guten Auftritt hinlegt. Inzwischen waren drei Jahre vergangen, und die Kinder, die anfangs in einer guten Verfassung gewesen waren, lebten nun in Frankreich und waren hoffnungslose Fälle.
    Milo und ich vertilgten Focaccia und Salat aus jungen Artischocken, mit Spinat gefüllte Orecchiette und hauchdünn geklopftes Kalbfleisch. Uns war beiden nicht nach Reden zumute, und eine Flasche anständiger Weißwein machte das Schweigen angenehmer. Wir waren beide merkwürdig zufrieden; das Leben war nicht fair, aber wir hatten gute Arbeit geleistet.
    Während die Sirenen näher kamen, hielt ich den Blick auf den Teller gerichtet. Milo hörte auf zu essen. Die Serviette, die er in seinen Hemdkragen gesteckt hatte, war voller Spinat- und Olivenölflecken.
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte er. »Das ist kein Feuer.«
    »Wer macht sich Sorgen?«
    Er schob sich die Haare aus der Stirn, nahm Gabel und Messer zur Hand, spießte etwas auf, kaute, schluckte.
    »Woher weißt du das?«, fragte ich.
    »Dass es kein Feuerwehrauto ist? Vertrau mir, Alex. Es ist ein Streifenwagen. Ich kenne die Frequenz.«
    Ein zweiter Streifenwagen fuhr heulend vorbei. Dann ein dritter.
    Er zog sein winziges blaues Mobiltelefon aus der Tasche und drückte auf einen Knopf. Eine gespeicherte Nummer wurde gewählt.
    Ich zog die Augenbrauen hoch.
    »Reine Neugier«, erklärte er. Offenbar ging jemand an den Apparat, denn er sagte ins Telefon: »Hier spricht Lieutenant Sturgis. Worum ging es bei dem Notruf in der Gegend des oberen Beverly Glen? Ja, in der Nähe vom Mulholland Drive.« Er wartete, seine grünen Augen im spärlichen Licht des Restaurants fast zu einem Braunton verdunkelt. Unter der befleckten Serviette befand sich ein himmelblaues Polohemd, das wirklich nicht gut mit seinem blassen Teint harmonierte. Seine Aknenarben traten deutlich hervor, und seine Hängebacken sahen aus wie frisch gefüllte Weinschläuche. Lange weiße Koteletten rahmten sein großes Gesicht, ein Paar Stinktierstreifen, die künstlich seinem schwarzen Haar zu entsprießen schienen. Er ist ein schwuler Polizist und mein bester Freund.
    »Tatsache«, sagte er.
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